Dr. Sebastian Hofert von Weiss
A. Einleitung
Rz. 1
Das Kreditgeschäft mit Unternehmen und Selbstständigen in Deutschland hat im dritten Quartal 2019 den ersten größeren Rückschlag seit Längerem erlebt. Dies hatte sich angesichts der schon seit einem Jahr anhaltenden Konjunkturdelle abgezeichnet. Besonders der deutsche Mittelstand mit seinen im internationalen Vergleich traditionell eher niedrigen Eigenkapitalquoten ist allerdings nach wie vor zur Finanzierung von laufendem Geschäft, Aufträgen und Investitionen in hohem Maße von Fremdmitteln abhängig, die i.R.d. Unternehmensfinanzierung erfolgreich eingeworben werden müssen. Dabei haben besondere Finanzierungsformen wie Projekt- oder strukturierte Finanzierungen sowie Mezzanine-Instrumente eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Umso wichtiger ist es daher, dass der Fachanwalt ein möglichst breites Spektrum von Finanzierungsmöglichkeiten zur Unternehmensfinanzierung sicher beherrscht. Nur so kann er den Mandanten optimal unterstützen, indem er komplexe Instrumente verständlich macht, Risiken frühzeitig erkennt und i.S.d. Unternehmens an einer sinnvollen und adäquaten Strukturierung mitwirkt.
Rz. 2
Das nachfolgende Kapitel gibt zunächst eine kurze Einführung in die betriebswirtschaftlichen Grundlagen der Finanzierung (s. Rdn 3 ff.). Im Anschluss daran wird der Zusammenhang zwischen dem Sicherungsbedürfnis der Kapitalgeber, den Ratings der finanzierenden Unternehmen und den Konditionen der Finanzierung (s. Rdn 13 ff.) erläutert. Im Hauptteil des Kapitels werden dann sowohl die klassischen Finanzierungsinstrumente der Eigen- und der Fremdfinanzierung als auch die alternativen (modernen) Finanzierungsinstrumente (s. Rdn 34 ff. und 239 ff.) ausführlich dargestellt und beschrieben.
Die Unternehmensfinanzierung ist somit eines der zentralen Gebiete, auf denen Expertise und fachkundige Beratung durch den Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht erwartet wird.
B. Betriebswirtschaftliche Grundlagen
I. Finanzierungsbegriff
Rz. 3
In der juristischen und betriebswirtschaftlichen Literatur sowie in der Praxis existiert kein einheitlicher Finanzierungsbegriff. Grds. wird zwischen einem engen und einem weiten Finanzierungsbegriff unterschieden. Der enge Finanzierungsbegriff bezieht sich nur auf die Vorgänge der Kapitalbeschaffung, während Finanzierung im weiteren Sinne neben der Kapitalbeschaffung auch andere Kapitaldispositionen wie bspw. Kapitalrückzahlungen und Kapitalumschichtungen im Bereich der Passiva erfasst.
Rz. 4
In diesem Kapitel wird der Begriff der Finanzierung als Kapitalbeschaffung im weitesten Sinne verstanden. Finanzierung ist hierbei die Bereitstellung von finanziellen Mitteln jeder Art, sowohl durch Eigenkapital als auch durch Fremdkapital im Wege der Innenfinanzierung und der Außenfinanzierung. Da die Beschaffung externer Mittel (Außenfinanzierung) zwingend den Abschluss von Rechtsgeschäften zwischen dem Unternehmen und außenstehenden Dritten wie Gesellschaftern, Gläubigern, Sicherungsnehmern etc. erfordert, wird in diesem Kapitel die Außenfinanzierung den Schwerpunkt der Erörterungen bilden. Die interne Kapitalaufbringung (Innenfinanzierung) durch Gewinne, Mittelfreisetzungen, Bildung von Rückstellungen sowie Abschreibungen wird als innergesellschaftlicher Vorgang hingegen nur der Vollständigkeit halber aufgeführt (s. Rdn 9), nicht jedoch ausführlich erörtert, da diese Vorgänge weitestgehend unternehmensintern ablaufen.
II. Abgrenzung zwischen Eigenfinanzierung und Fremdfinanzierung
Rz. 5
Bei der Eigenfinanzierung wird dem Unternehmen zusätzliches Eigenkapital zur Verfügung gestellt. Dies kann im Wege der Außenfinanzierung durch neues Eigenkapital erfolgen, welches zum einen die Altgesellschafter des Unternehmens oder zum anderen neu eintretende dritte Gesellschafter zur Verfügung stellen. Die Außeneigenfinanzierung erfolgt zunächst bei der Gründung des Unternehmens. Später können sowohl die Altgesellschafter ihre Beteiligung erhöhen, als auch zusätzliche Gesellschafter der Unternehmung beitreten. Die Erhöhung des Eigenkapitals kann jedoch nicht nur im Wege der Aufnahme neuen externen Eigenkapitals erfolgen, sondern ebenso im Wege der Innenfinanzierung durch die Erzielung von Gewinnen durch die Unternehmung.
Rz. 6
Bei der Fremdfinanzierung wird der Unternehmung entweder Kapital durch Dritte (Nichtgesellschafter) im Wege der Außenfinanzierung zur Verfügung gestellt oder es erfolgt eine Innenfinanzierung, bei der die Gesellschaft aufgrund von Abschreibungen oder der Bildung von Rückstellungen tatsächlich zugeflossene Einnahmen als Aufwendungen ergebnismindernd berücksichtigen kann. Im zweiten Fall erzielt das Unternehmen daher keine Gewinne (Eigeninnenfinanzierung), sondern hat zwar einen tatsächlichen Zufluss von Geldmitteln, der jedoch Fremdfinanzierung darstellt, da er entweder auf vorherigen Aufwendungen (Abschreibungen) oder aber künftigen Aufwendungen (Rückstellungen) beruh...