Dr. Wolfgang Kürschner, Dr. iur. Sebastian Müller
Rz. 13
Wegen des oft hohen Einschätzungsrisikos, das sich in der Regel auch finanziell auswirkt, trägt ein Anwalt eine gesteigerte Verantwortung bei einem Abfindungsvergleich. Dies gilt insbesondere bei einem Abfindungsvergleich, in dem alle gegenseitigen Forderungen für erledigt erklärt werden. Hier ist sehr sorgfältig zu überlegen, welche Forderungen vielleicht in Betracht kommen können. Besondere Vorsicht ist aus der Sicht des Geschädigten und seines Anwaltes geboten, wenn Verletzungen vorliegen, die unübersehbare Spätfolgen nach sich ziehen. Schwere Verletzungen und dadurch bedingte Behinderungen sowie die ärztlich attestierte Gefahr einer Verschlimmerung können bei einem erst 27-jährigen Mandanten Anlass sein, von einer Abfindungserklärung dringend abzuraten. Auch wenn der Mandant eine Pflichtverletzung des Anwalts nachweisen muss, so können doch die Gesamtumstände einen Beratungsfehler offensichtlich werden lassen. Überwiegend geht es um den Vorwurf, der Rechtsanwalt habe den Mandanten über den Abschluss eines letztlich ungünstigen Vergleichs nicht ausreichend aufgeklärt. Der Anwalt kann aber auch dafür haften, dass der Mandant auf seinen (unzutreffenden) Rat hin von der Annahme eines günstigen Vergleichs Abstand nimmt.
Rz. 14
Ein Rechtsanwalt ist grundsätzlich verpflichtet, bei in Betracht kommenden zukünftigen Schäden oder Spätfolgen, die von einem Abfindungsvergleich mit einem Versicherer nicht erfasst sein sollen, den dahin gehenden Vorbehalt so klar und unmissverständlich zu vereinbaren und zu formulieren, dass der Mandant auch nach Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist gegen die Verjährungseinrede des Versicherers sicher geschützt ist. Zu den Pflichten eines Rechtsanwalts, der den Mandanten beim Abschluss eines Abfindungsvergleichs berät, hat der Bundesgerichtshof unter anderem ausgeführt: Da der Mandant eigenverantwortlich zu entscheiden hat, wie er seine Interessen in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht zur Geltung bringt, ist es auch seine Sache, darüber zu befinden, ob und mit welchem Inhalt er einen Rechtsstreit durch Vergleich beendet.
Rz. 15
Will der Prozessbevollmächtigte einen Abfindungsvergleich abschließen, hat er sich deshalb grundsätzlich der vorherigen Zustimmung der Partei zu versichern. Zuvor muss er diese darüber informieren, mit welchem Inhalt er den Vergleich abzuschließen gedenkt, und sie über die Vor- und Nachteile des Vergleichs im Rahmen des erteilten Mandats aufklären. Für einen Abfindungsvergleich gilt das in besonderem Maße. Bei der Abwägung der Vor- und Nachteile eines Vergleiches ist dem Rechtsanwalt ein Ermessensspielraum zuzubilligen. Zu Warnungen und Hinweisen außerhalb des Mandats ist der Anwalt nur verpflichtet, wenn die dem Mandanten drohenden Gefahren ihm bekannt oder offenkundig sind. Selbst wenn der Rechtsanwalt der Meinung ist, das von ihm ausgehandelte Ergebnis sei schon das Äußerste, was bei der Gegenseite zu erreichen sei, entbindet ihn das nicht von seiner Aufklärungspflicht. Schließt der Rechtsanwalt einen Vergleich gegen die ausdrückliche Weisung seines Mandanten oder eines Teils seiner Mandanten, kann sich der Rechtsanwalt dadurch eines Parteiverrats strafbar machen, selbst wenn er glaubt, dass der Vergleich für seinen bzw. alle seine Mandanten von Vorteil ist.
Rz. 16
Wird ein Rechtsanwalt auf Schadensersatz wegen Schlechterfüllung des Anwaltsvertrages von seinem früheren Mandanten mit dem Vorwurf in Anspruch genommen, er sei über einen abgeschlossenen Vergleich zuvor nicht ausreichend oder nicht richtig beraten worden, so ist auf den hypothetischen Geschehensverlauf abzustellen. Entscheidend ist also, wie der Prozess, in dem ein Prozessvergleich geschlossen wurde, richtig hätte entschieden werden müssen, wobei jedoch auch die Besonderheiten der damaligen konkreten Situation zu berücksichtigen sind, hinsichtlich derer der Anwalt gegebene Risiken mit einkalkulieren musste. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Anwalt im Zusammenhang mit einem Vergleichsabschluss die ihm obliegenden Pflichten schuldhaft verletzt hat, darf keine ex-post-Betrachtung vorgenommen werden.
Rz. 17
Maßgebend ist vielmehr die Situation, die sich dem Anwalt im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses darbietet und in der er alle Faktoren sorgfältig gegeneinander abzuwägen und unter Beachtung des Grundsatzes des sicheren und gefahrlosen Weges zu gewichten und in einen Rat an den Mandanten umzusetzen hat. Ein Anwalt, der zu einem Vergleich rät, muss abwägen, ob dieser den wohl verstandenen Interessen seines Mandanten genügt; er muss dabei auf Bedenken oder auf die seinem Mandanten durch den vorgesehenen Vergleich entstehenden nachteiligen Folgen hinweisen. Er darf nicht ohne weiteres einen Vergleich empfehlen, vorschlagen oder gar selbst unwiderruflich abschließen, wenn nach der Prozesslage eine begründete Aussicht besteht, dass im Fall der Entscheidung ein günstigeres Ergebnis zu erzielen ist; zumindest muss der Anwalt bei seiner Beratung darauf...