Dr. Wolfgang Kürschner, Dr. iur. Sebastian Müller
Rz. 31
Sittenwidrigkeit eines Vergleichs kann gegeben sein, wenn ein ungewöhnliches Missverhältnis zwischen den gegenseitigen rechtlichen Möglichkeiten vor Abschluss des Vergleichs und der durch den Vergleich geschaffenen Lage gegeben ist. Dazu muss subjektiv ein Verhalten beider Parteien bei Abschluss des Vergleichs hinzutreten, das diesem den Stempel der Sittenwidrigkeit aufdrückt. In Betracht kommt auch die Nichtigkeit eines Vergleichs wegen Wuchers, beispielsweise dann, wenn eine Versicherungsgesellschaft bewusst eine sich ihr bietende günstige Gelegenheit ausnutzte, um einen Vergleich herbeizuführen, von dem sie wusste, dass ein starkes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung besteht. Die Anforderungen sind allerdings sehr hoch und werden in der Praxis selten erfüllt. Maßgeblich ist nicht das Missverhältnis der Leistungen, sondern das Abwägen des beiderseitigen Nachgebens.
Rz. 32
Vergleichen sich die Parteien später über die Gültigkeit eines sittenwidrigen Geschäftes, so muss die Sittenwidrigkeit dieses Vergleichs besonders geprüft werden. Ein Vergleich, der einer Partei die Vorteile aus einem sittenwidrigen Geschäft erhalten oder verschaffen soll, ist ebenso unwirksam wie ein Vergleich, der selbst gegen §§ 134, 138 BGB verstößt. Allein die Regelung der Rechtsfolgen eines nichtigen Ausgangsgeschäftes macht den Vergleich selbst noch nicht nichtig. Für die Wirksamkeit eines Vergleichs kommt es regelmäßig nicht auf eine Gegenüberstellung der Vergleichspflichten und der wahren Ausgangslage an, sondern darauf, wie die Parteien die Sach- und Rechtslage bei Abschluss des Vergleichs einschätzten und in welchem Ausmaß sie davon abgewichen sind und zur Bereinigung des Streitfalls gegenseitig nachgegeben haben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht allein die objektive Rechtslage, sondern die konkrete Durchsetzbarkeit, insbesondere Beweisbarkeit, also das Risiko, oft dafür bestimmend ist, sich mit weniger zu begnügen.
Rz. 33
Der Bundesgerichtshof hat eine vergleichsweise Vereinbarung für gegen § 138 Abs. 1 BGB verstoßend und deshalb als nichtig erachtet, in der sich ein Beklagter zum Schuldenerlass von ca. 70.000 DM und zur zusätzlichen Zahlung eines Schmerzensgeldbetrages von 80.000 DM dafür verpflichtete, dass die Eltern eines 14-jährigen Mädchens Strafanzeige und Strafantrag gegen ihn zurücknahmen und den Vorwurf der Vergewaltigung des Mädchens widerriefen. Sie verpflichteten sich ferner, was als Grundlage des Vergleichs bezeichnet worden war, über den Vergleich und den Sachverhalt gegenüber jedermann unbedingtes Stillschweigen zu bewahren.
Rz. 34
Der Bundesgerichtshof differenziert: Die Eingehung der Verpflichtung zur Rücknahme eines Strafantrages oder einer Strafanzeige gegen Entgelt kann als Handel mit der staatlichen Strafbarkeitsordnung anstößig sein, muss es aber nicht. Sie ist dann hinzunehmen, wenn die Geldleistung der Sache nach der Schadlosstellung des Opfers oder der Wiedergutmachung an ihm dient. Die Grenze zur Anstößigkeit wird jedoch überschritten, wenn die gegen Entgelt übernommene Verpflichtung zum Stillhalten gegenüber der Strafverfolgungsbehörde bzw. zur Rücknahme der Strafanzeige nicht mehr von dem billigenswerten Streben nach Wiedergutmachung getragen, sondern auf eine gewinnsüchtige Ausnutzung der Situation hinausläuft oder von anderen sachfremden Motiven beherrscht wird.