Rz. 36
Zur Entscheidung über die Höhe der Abfindungssumme ist das Tatsachengericht berufen. Das Revisionsgericht kann nur überprüfen, ob das Berufungsgericht die Voraussetzungen und Grenzen seines Ermessens beachtet hat. § 10 KSchG enthält Bestimmungen zur Höhe der vom Gericht auszuurteilenden Abfindung. Aus § 10 Abs. 1 und 2 KSchG lassen sich zunächst Höchstgrenzen entnehmen. Danach ist als Abfindung ein Betrag von bis zu zwölf Monatsverdiensten festzusetzen (§ 10 Abs. 1 KSchG). Hat der Arbeitnehmer sowohl das 50. Lebensjahr vollendet als auch sein Arbeitsverhältnis mindestens 15 Jahre bestanden, so ist ein Betrag bis zu 15 Monatsverdiensten festzusetzen (§ 10 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 KSchG). Bei Vollendung des 55. Lebensjahres und einem Bestand des Arbeitsverhältnisses für mindestens 20 Jahre kann ein Betrag von bis zu 18 Monatsverdiensten festgesetzt werden (§ 10 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 KSchG). Diese Heraufsetzung auf 15 bzw. 18 Monatsverdienste gilt andererseits gem. § 10 Abs. 2 S. 2 KSchG wiederum nicht, wenn der Arbeitnehmer in dem Zeitpunkt, den das Gericht nach § 9 Abs. 2 KSchG für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses festsetzt, das in der Vorschrift des SGB VI über die Regelaltersrente bezeichnete Lebensalter erreicht hat, was in der Praxis selten vorkommt.
Rz. 37
§ 10 Abs. 3 KSchG legt fest, was als Monatsverdienst gilt. Demnach ist zugrunde zu legen, was dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden Arbeitszeit in dem Monat, in dem das Arbeitsverhältnis endet (§ 9 Abs. 2 KSchG), an Geld- und Sachbezügen zusteht.
Bezüglich des zugrunde zu legenden Gehalts ist vom Bruttoverdienst auszugehen und die regelmäßige Arbeitszeit des individuellen Arbeitnehmers und nicht dessen tatsächlich in dem letzten Monat des Arbeitsverhältnisses geleistete oder die regelmäßige betriebsübliche Arbeitszeit heranzuziehen. Verdienstminderungen durch Krankheit, Urlaub, Freistellung oder Kurzarbeit sind generell nicht zu berücksichtigen. Mehrverdienst durch Überstunden ist grundsätzlich unberücksichtigt zu lassen, es sei denn, der Arbeitnehmer hat während eines längeren Zeitraums regelmäßig Überstunden in einem bestimmten Umfang geleistet.
Bei der Berechnung sind grundsätzlich alle Verdienstbestandteile zu berücksichtigen, also die Grundvergütung (sei es festes Gehalt, sei es Zeitlohn), alle Zulagen und sonstigen Gehaltsbestandteile (Gefahrenzulage, Schicht- und Nachtarbeitszuschläge, Prämien, Provisionen, Tantiemen, Umsatzbeteiligungen), soweit sie nicht Aufwendungsersatzcharakter haben, Sachbezüge jeder Art, die mit ihrem Marktwert (und nicht mit ihrem Wert im Sinne der Sachbezugsverordnung) anzusetzen sind. Im Hinblick auf Einmalzahlungen (13. oder 14. Monatsgehalt, Weihnachts- oder Urlaubsgeld) besteht Einigkeit insoweit, dass diese, soweit sie Zuwendungs- oder Entgeltcharakter besitzen, im Wege der anteiligen Umlage auf den Monat zu berücksichtigen sind. Ob Zahlungen mit Gratifikationscharakter in die Berechnung mit einzubeziehen sind, ist hingegen streitig und höchstrichterlich nicht geklärt; für den Fall eines vertraglich vereinbarten sog. "Retention Payment", das auch im Fall einer Kündigung zu zahlen war, hat das BAG derartige Leistungen jedenfalls bei der Berechnung nicht in Ansatz gebracht.
Rz. 38
Praxishinweis
Von vielen Arbeitsgerichten wird auch bei der Berechnung der Abfindung in unmittelbarer Anwendung der §§ 9, 10 KSchG das nach den o.g. Grundsätzen bestimmte Monatsgehalt mit den sog. Regelsatz-Faktoren multipliziert, also diejenige Formel angewandt, die am meisten verbreitet sein dürfte in der Fassung
Bruttomonatsgehalt × 0,5 × Jahre der Betriebszugehörigkeit.
Rz. 39
Nach zutreffender Auffassung sind allerdings die Bemessungsfaktoren differenzierter zu bestimmen. Als die beiden wichtigsten Daten sind die Dauer des Arbeitsverhältnisses sowie das Lebensalter des Arbeitnehmers anzusehen. Auch die übrigen Sozialdaten des Arbeitnehmers, sein Familienstand, die Anzahl der unterhaltsberechtigten Personen, der Gesundheitszustand, das Vorliegen einer Schwerbehinderung und die Vermittlungsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt sind bei der Festsetzung der Abfindung angemessen zu berücksichtigen. Daneben können die Lage auf dem Arbeitsmarkt und die Frage, ob der Arbeitnehmer bereits ein neues Arbeitsverhältnis begründen konnte, von Bedeutung sein. Schließlich kommt es auf das Maß der Sozialwidrigkeit der Kündigung sowie des hierbei anzunehmenden Verschuldens des Arbeitgebers an. Dies liegt nach Auffassung der Rechtsprechung darin begründet, dass der Abfindung auch eine Sanktionsfunktion zukommt, um ungerechtfertigten Kündigungen vorzubeugen. Aus der Sphäre des Arbeitgebers ist dessen wirtschaftliche Lage als Umstand, der bei der Bemessung der Abfindung angemessen zu berücksichtigen ist, zu beachten. Die Abfindungszahlung darf nicht zur Gefährdung des Unternehmens und damit anderer Arbeitsplätze führen.