1. Einführung
Rz. 74
Die Prüfung von Vorfragen ist für die Lösung erbrechtlicher Fälle von besonderer Bedeutung. Hieran hat auch die Einführung der EuErbVO nichts Grundlegendes geändert. Sowohl nach altem als auch nach neuem Recht sind Vorfragen von Beachtung. Bei einer Vorfrage handelt es sich um einen Teilaspekt der erbrechtlichen Angelegenheit, ohne dessen Klärung sich der Gesamtfall nicht richtig lösen lässt. Ein simples Beispiel: Ein ausländisches Recht sieht ein besonderes Ehegattenerbrecht vor. Folglich kann nur solch eine Person dieses Erbrecht für sich in Anspruch nehmen, bei der "vorab" geklärt worden ist, dass sie auch tatsächlich Ehegatte des Verstorbenen ist.
Rz. 75
Zur Klärung des Bestehens der Ehe kann die Ehegatteneigenschaft im Rahmen einer unselbstständigen Anknüpfung ermittelt werden. Das bedeutet, dass die Ehegatteneigenschaft aus kollisionsrechtlicher Sicht desjenigen Erbrechts geklärt wird, welches als Erbstatut ermittelt wurde. Es ist aber auch möglich, diese Bestimmung in unselbstständiger Anknüpfung, also mit den Kollisionsregeln der lex fori, zu bestimmen. Vorfragen in Bezug auf das internationale Erbrecht werden in aller Regel selbstständig angeknüpft. Eine gesetzliche Regelung hierzu gibt es aber nicht. Das Scheidungsurteil eines deutschen Familiengerichts wäre also bezogen auf den Fall zu beachten. Existiert zwischen den Staaten jedoch staatsvertragliches Kollisionsrecht (bilaterale Konsularverträge etc.), so wird nach ganz herrschender Meinung unselbstständig angeknüpft.
2. Relevante Vorfragen für das Erbrecht
a) Bestehen einer Ehe
Rz. 76
Das Ehegattenerbrecht ist Vorfrage. Sie ist nach Art. 13 Abs. 1 u. 3 S. 1, Art. 11 EGBGB gegebenenfalls i.V.m. Art. 17 EGBGB selbstständig zu beantworten.
b) Lebenspartnerschaft
Rz. 77
Die Vorfrage betreffend das Bestehen einer Lebenspartnerschaft wird selbstständig angeknüpft. Die Auflösung der Partnerschaft wird unselbstständig aus dem Blickwinkel des jeweiligen Erbrechts angeknüpft.
c) Abstammung
Rz. 78
Sowohl die Frage der Abstammung als auch die Frage der Verwandtschaft werden selbstständig angeknüpft. In welcher Rangfolge die Verwandten zu Erben berufen sind, ist freilich Frage des Erbstatuts.
d) Wirksamkeit einer Adoption
Rz. 79
Die Wirksamkeit einer Adoption wird gemäß Art. 22 EGBGB bestimmt und somit selbstständig angeknüpft. Das Adoptionsstatut bestimmt also, ob die familienrechtlichen Voraussetzungen infolge einer Adoption bestehen oder nicht sowie deren verwandtschaftsrechtliche Wirkung. Die Frage des Erbrechts von Adoptionsverwandten, also ob das jeweilige Recht dem Adoptierten ein Erbrecht gewährt (Adoptierende oder Adoptierte), ist jedoch vom Erbstatut abhängig.
Umstritten ist die Frage, ob für die Behandlung der Adoption im Erbrecht das Adoptionswirkungsstatut oder das Erbstatut maßgeblich ist. So wird zum einen die Auffassung vertreten, dass das Adoptionsstatut über die erbrechtliche Gleichstellung entscheide. Zum anderen wird die Auffassung vertreten, dass sich die Behandlung der Adoption im Erbrecht nach dem Erbstatut richte.
Rz. 80
Im Schrifttum werden beide Auffassungen vertreten. Was die Auffassung zugunsten des Erbstatuts anbelangt, so wird auf eine Entscheidung des Kammergerichts rekurriert. Dieses stellt grundsätzlich nicht auf das Adoptionsstatut ab, sondern beurteilt den erbrechtlichen Einfluss einer Kindesannahme nach dem Heimatrecht des Erblassers.
Was die Annahme zugunsten des Adoptionsstatuts anbelangt, so wird diese Auffassung im Wesentlichen auf eine Entscheidung des BGH gestützt. Der BGH hat in dieser Entscheidung jedoch betont, dass die Entscheidung "weder allein danach beurteilt werden kann, wie das für den Erblasser maßgebende Erbstatut Adoptivkinder behandelt, noch ausschließlich danach, ob das Adoptivkind nach dem für die Adoptionsfolgen maßgebenden Recht ein Erbrecht nach einem solchen Verwandten seiner Adoptiveltern haben soll." Diese Aussage wird jedoch insoweit relativiert, als weiter ausgeführt wird, dass "sinnvollerweise" dem Adoptionsstatut zu entnehmen ist, "ob es zwischen diesem Erblasser und dem Adoptivkind zu einer so starken rechtlichen Beziehung (Verwandtschaft) kommen soll, wie sie das für die Erbfolge maßgebende Recht für eine Beteiligung an der gesetzlichen Erbfolge voraussetzt."