Dr. iur. Marcus Hartmann, Walter Krug
Rz. 45
Auch aus einem nicht auffindbaren Testament können Rechte abgeleitet werden. An den Nachweis der formgerechten Errichtung und des Inhalts eines nicht auffindbaren Testaments sind strenge Anforderungen zu richten. Derjenige, der aus dem Testament Rechte geltend macht, muss die formgültige Errichtung und seinen Inhalt beweisen. Die Beweislast kehrt sich jedoch um, wenn bewiesen ist, dass derjenige, der die Unwirksamkeit des Testaments geltend macht, es beiseitegeschafft hat.
Rz. 46
Es gibt keine Vermutung für die Vernichtung eines Testaments durch den Erblasser.
Die bloße Tatsache der Unauffindbarkeit der Urkunde begründet keine tatsächliche Vermutung oder einen Erfahrungssatz, dass das Testament durch den Erblasser vernichtet und damit widerrufen worden ist. Es müssen Indizien vorliegen, beispielsweise der Nachweis einer Willensänderung des Erblassers, um im Zusammenhang mit der Nichtauffindbarkeit des Testaments den Beweis der Vernichtung i.S.d. § 2255 BGB zu erbringen. Ist bewiesen, dass der Erblasser ein zwar nicht auffindbares, aber formgültiges Testament mit einem bestimmten Inhalt errichtet hat, trägt die Feststellungslast hinsichtlich einer späteren absichtlichen Vernichtung des Testaments als Widerruf gem. § 2255 BGB derjenige, der sich auf die Ungültigkeit des Testaments zur Begründung seines Erbrechts beruft.
Rz. 47
Ist nur ein Teil der Verfügungen des unauffindbaren Testaments feststellbar, können sie Grundlage eines erbrechtlichen Anspruchs ausnahmsweise sein, wenn der Gesamtwille des Erblassers insoweit erkennbar ist, dass ohne Rücksicht auf den Inhalt und Umfang des nicht festgestellten Teils des Testaments der feststellbare Teil Bestand haben soll und dieser Teil durch die Unbestimmtheit der nicht bekannten Verfügungen seinem Umfang nach nicht wesentlich berührt wird.
Rz. 48
Zur Beweisführung über Errichtung und Inhalt eines Testaments kann sich der Beweisbelastete aller Beweismittel bedienen. Das Beweisangebot von Zeugen, die das Testament nicht gesehen haben, reicht in der Regel nicht aus. Für den Nachweis eines urkundlich nicht mehr vorhandenen Testaments sind Äußerungen des Testators gegenüber Bedachten oder Dritten regelmäßig nicht ausreichend.
Rz. 49
Derjenige, der sich auf ein unauffindbares Testament beruft, muss die formgültige Errichtung und den Testamentsinhalt beweisen und trägt im Verfahren auf Erteilung eines Erbscheins insoweit die Feststellungs- bzw. im Zivilverfahren die Beweislast. Wird die Kopie eines Testaments vorgelegt, kann sie als Nachweis sowohl für die formgerechte Errichtung als auch für den Inhalt des Testaments ausreichen.
Rz. 50
Auch die Wohnsituation des Erblassers kann herangezogen werden: Bei der Frage, ob ein Testament vom Erblasser durch Vernichtung widerrufen worden ist, sind die Anforderungen an den Nachweis einer Vernichtungshandlung nicht zu hoch anzusetzen, falls sich das später verschwundene Original bis zuletzt im "Gewahrsam" des Erblassers befand und Anzeichen für Handlungen eines Dritten fehlen. Diese Grundsätze sind nicht anzuwenden, wenn der Erblasser in den Jahren vor seinem Tod nicht in einer gegenüber Dritten weitestgehend geschützten Sphäre wie einer privaten Wohnung, sondern zunächst in einer Seniorenresidenz und danach in einem Pflegeheim gewohnt hat.
Rz. 51
Keine Anfechtung wegen Vergessens einer Verfügung von Todes wegen: Mit der Begründung, der Erblasser habe eine früher errichtete letztwillige Verfügung vergessen, kann diese Verfügung nicht angefochten werden.