aa) Gesetzliche Regelung
Rz. 22
Ob und inwieweit dem Nießbraucher oder dem Gesellschafter das Stimmrecht in der Gesellschafterversammlung zusteht, ist umstritten. Die unterschiedlichen Auffassungen reichen vom Stimmrecht des Gesellschafters über das Stimmrecht des Nießbrauchers über eine gemeinsame Stimmrechtsausübung bis hin zum Stimmrecht des Nießbrauchers in laufenden Angelegenheiten und einem Stimmrecht des Gesellschafters bei Geschäften, die die Substanz und die Grundlagen der Gesellschaft betreffen. Der BGH hat die Frage des originären Stimmrechts offengelassen und bisher nur entschieden, dass dem Gesellschafter das Stimmrecht für Grundlagengeschäfte nicht genommen werden darf. Die derzeit wohl herrschende Meinung geht davon aus, dass das Stimmrecht – vorbehaltlich abweichender Vereinbarung – beim Gesellschafter verbleibt. Dies wird u.a. damit begründet, dass das Stimmrecht schon begrifflich nicht als Ertrag der Mitgliedschaft und somit nicht als Rechtsfrucht angesehen werden kann. Gegen die Aufspaltung des Stimmrechts zwischen Nießbraucher und Gesellschafter spricht auch die praktische Undurchführbarkeit wegen unlösbarer Abgrenzungsprobleme zwischen nutzungsbezogenen und substanzbezogenen Beschlüssen im Einzelfall. Die Rechtsprechung des BGH zum Nießbrauch an Wohnungseigentum deutet darauf hin, dass der BGH einer gemeinschaftlichen Stimmrechtsausübung sowie einer Aufspaltung der Stimmrechte ablehnend gegenübersteht.
bb) Abweichende Vereinbarung zwischen Nießbraucher und Besteller
Rz. 23
Von den gesetzlichen Regelungen können die Parteien abweichen, soweit nicht von Bestimmungen abgewichen wird, die das Wesen des Nießbrauchs bilden. Um dem Nießbraucher den unternehmerischen Einfluss zu sichern, bestehen im Wesentlichen drei Möglichkeiten:
1. |
Übertragung von sämtlichen Stimmrechten auf den Nießbraucher |
2. |
Aufspaltung der Stimmrechte zwischen Nießbraucher und Gesellschafter |
3. |
Gemeinschaftliche Berechtigung von Nießbraucher und Gesellschafter. |
Umgesetzt werden können diese drei Möglichkeiten durch
▪ |
dinglich wirkende Vereinbarung über die abweichende Inhaltsbestimmung des Nießbrauchs in der Form, dass das Stimmrecht ganz oder teilweise dem Nießbraucher zusteht oder |
▪ |
Feststellung des Stimmrechts des Gesellschafters und Einräumung einer rechtsgeschäftlichen Vollmacht für den Nießbraucher; |
▪ |
Feststellung des Stimmrechts des Gesellschafters und Beschränkung der Stimmrechtsausübung im Innenverhältnis zwischen Nießbraucher und Gesellschafter. |
(1) Abweichende Inhaltsbestimmung
Rz. 24
Im ersten Fall wirkt die Inhaltsänderung dinglich, so dass die abweichende Stimmrechtsregelung Inhalt des Nießbrauchs wird. Hier bleibt zu beachten, dass sowohl das Sachenrecht als auch das Gesellschaftsrecht der vertraglichen Ausgestaltung Grenzen setzen: Das Stimmrecht kann nur für Angelegenheiten, die die Nutzungen betreffen, übertragen werden. Auch der Kernbereich der Mitgliedschaft darf nicht angetastet werden, so dass Informations- und Anfechtungsrechte ebenso wie die Änderung des Gesellschaftsvertrages, die Umwandlung und Auflösung stets dem Gesellschafter obliegen. Um Abgrenzungsschwierigkeiten zu vermeiden, sollte im Vertrag genau geregelt werden, in welchen Fällen dem Nießbraucher das Stimmrecht übertragen wird.
Die Inhaltsänderung wirkt auch gegenüber Dritten, insbesondere gegenüber der Gesellschaft, so dass auch der Nießbraucher zur Gesellschafterversammlung zu laden ist. Wegen des Gleichlaufs von Haftung und Herrschaft wird in diesem Fall teilweise auch die Haftung des Nießbrauchers bejaht (siehe hierzu Rdn 35).
Rz. 25
Die dingliche Inhaltsänderung wird als zulässig angesehen, wenn die anderen Gesellschafter ihr zugestimmt haben oder sie in der Satzung vorgesehen ist. Das gesellschaftsrechtliche Abspaltungsverbot steht einer Stimmrechtsübertragung nicht entgegen, da die Mitgliedschaft nicht in unabhängige Teilrechte aufgespalten wird, sondern Nießbraucher und Gesellschafte...