Herbert Krumscheid, Sascha Borowski
Rz. 50
Inwieweit fehlerhafte Ad-hoc-Mitteilungen oder bewusst unrichtige Prognosen der Vorstände eine Haftung begründen können, wurde strittig diskutiert. Das LG München I lehnte eine Haftung der Aktiengesellschaft ab, da Ad-hoc-Mitteilungen sich nicht an Privatanleger richteten und die Kausalität zwischen Mitteilungen und Aktienerwerb im Regelfall nicht gegeben sei. Anders hingegen das LG Augsburg in einem Verfahren gegen die gleiche Gesellschaft: Unter Einordnung des § 88 a.F. BörsG als Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB sprach es einem Anleger Schadensersatz zu, der glaubhaft versichern konnte, seine Anlageentscheidung aufgrund der unrichtigen Ad-hoc-Mitteilungen getroffen zu haben. In einem Berufungsurteil vom 1.10.2002 lehnte das OLG München etwaige Schadensersatzansprüche ab. In seinem Revisionsurteil vom 19.7.2004 hat der BGH bestätigt, dass § 88 a.F. BörsG nicht als Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB anzusehen ist, allerdings hat er das Bestehen eines Schadensersatzanspruches aus § 826 BGB festgestellt.
Zwischenzeitlich hat der BGH mit Urt. v. 9.5.2005 entschieden, dass neben der Gesellschaft auch die Vorstandsmitglieder persönlich wegen fehlerhafter ad-hoc-Mitteilungen sowohl gem. § 826 Abs. 1 BGB als auch gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 400 AktG haften können. Von § 400 AktG werden jedoch nur ad-hoc-Mitteilungen erfasst, die einen Gesamtüberblick über die wirtschaftliche Situation des Unternehmens ermöglichen.
Das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz stärkt die Position der Anleger in diesem Zusammenhang. Eine gesetzlich kodifizierte Anspruchsgrundlage findet sich in den §§ 97 und 98 WpHG. Danach kommt ein Anspruch in Betracht, wenn eine nach§ 26 WpHG publizitätspflichtige Tatsache nicht bzw. verspätet (§ 97 WpHG) oder unrichtig (§ 98 WpHG) veröffentlicht wurde. Erfasst werden Tatsachen, die wegen ihrer Auswirkungen auf die Vermögens- und Finanzlage oder auf den allgemeinen Geschäftsverlauf des Emittenten geeignet sind, den Börsenpreis erheblich zu beeinflussen.
§§ 97, 98 WpHG enthalten etliche ausfüllungsbedürftige Tatbestandsmerkmale. Im Wesentlichen lauten die Voraussetzungen:
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Das Wertpapier ist an einer inländischen Börse zugelassen; |
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es handelt sich um eine neue oder unwahre Tatsache; |
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die nicht öffentlich bekannt ist; |
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die Tatsache ist im Tätigkeitsbereich des Emittenten eingetreten |
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und ist geeignet, den Kursverlauf zu beeinflussen; |
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(vermutetes) Verschulden; |
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Schaden/Kausalität. |
An dieser Stelle sei nur auf wenige Einzelfragen eingegangen. Zum einen ist von Bedeutung, dass nur Ad-hoc-Mitteilungen Schadensersatzansprüche auslösen können. Andere Mitteilungen wie der Jahresabschluss oder formlose "Aktionärsbriefe" sind nicht umfasst. Eine analoge Anwendung des § 97 WpHG auf einfache Pressemitteilungen kommt bereits aufgrund des Fehlens einer planwidrigen Regelungslücke nicht in Betracht. Hinsichtlich des Mitverschuldens enthalten §§ 97 Abs. 3, 98 Abs. 3 WpHG leges speciales zu § 254 Abs. 1 BGB: Bei Kenntnis der unveröffentlichten Tatsache oder der Unrichtigkeit einer veröffentlichten Tatsache ist ein Anspruch ausgeschlossen.
Bemängelt wird, dass die Geltendmachung von Ansprüchen ausdrücklich auf den Emittenten beschränkt ist. Damit ist es dem Anleger verwehrt, gegen Organmitglieder selbst vorzugehen. Diese Frage wird insbesondere bei insolventen Gesellschaften eine Rolle spielen.
Zu Gunsten des Anlegers wurde allerdings in §§ 97 Abs. 2, 98 Abs. 2 WpHG eine Beweislastumkehr vorgesehen, die sich jedoch nicht auf die "Unverzüglichkeit" nach § 97 WpHG bezieht. Dies nachzuweisen obliegt weiterhin dem Gläubiger.
Der Anspruch verjährt in einem Jahr von dem Zeitpunkt an, zu dem der Berechtigte Kenntnis von der Unterlassung bzw. der Unrichtigkeit erlangt hat, §§ 97 Abs. 4, 98 Abs. 4 WpHG.
Ebenfalls zu beachten ist die am 2.7.2016 in Kraft getretene Marktmissbrauchsverordnung (MAR; VO (EU) Nr. 596/2014).
Rz. 51
Von der Haftung für fehlerhafte Ad-hoc-Publizität zu unterscheiden sind Ansprüche aufgrund Prospekthaftung gemäß §§ 44 ff. BörsG. Auch die Haftung nach allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen, so § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB oder § 266 StGB sowie § 826 BGB bleiben unberührt. Dies stellt § 26 WpHG klar. Dennoch wird es im Regelfall kaum möglich sein, den subjektiven Tatbestand in diesem Zusammenhang nachzuweisen.