Dr. Burkhard Göpfert, Maximilian Melles
Rz. 84
In Unternehmen mit i.d.R. mehr als 20 Arbeitnehmern besteht bei Betriebsänderungen i.S.d. § 111 BetrVG grds. ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates zur Aufstellung eines Sozialplans. Dies gilt unabhängig davon, ob ein Interessenausgleich zwischen Unternehmer und Betriebsrat zustande gekommen ist. Zu beachten sind lediglich die Einschränkungen des § 112a BetrVG. Die Leistungen aus einem Sozialplan stellen einerseits Entschädigungen für die Einbuße des Arbeitsplatzes und den Verlust erworbener Vorteile infolge einer von den Arbeitnehmern hinzunehmenden Betriebsänderung dar, andererseits kommt ihnen eine Fürsorge- und Vorsorgefunktion bzw. Überbrückungsfunktion zu. Damit kommt dem Sozialplan hinsichtlich der vom Unternehmer geplanten und letztlich frei durchführbaren Betriebsänderung aber auch eine Art Steuerungsfunktion zu, indem die unternehmerische Entscheidung zur Betriebsänderung mit finanziellen Lasten verbunden wird, die den Unternehmer tendenziell anhalten sollen, von einer Betriebsänderung abzusehen oder sie so durchzuführen, dass möglichst geringe wirtschaftliche Nachteile für die betroffenen Arbeitnehmer entstehen. Deshalb ist es auch zulässig, Entschädigungen für typischerweise zu erwartende wirtschaftliche Nachteile mehr oder weniger differenziert zu pauschalieren und dabei auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem nach dem Willen des Gesetzgebers der Sozialplan grds. zu vereinbaren ist, also vor Durchführung der Betriebsänderung. Diese Sichtweise soll wegen der Steuerungsfunktion des Sozialplans auch dann maßgebend sein, wenn dieser nicht vor der Betriebsänderung, sondern erst später, bspw. durch Spruch der Einigungsstelle, aufgestellt wird.
Rz. 85
Interessenausgleich und Sozialplan unterscheiden sich durch Verfahrensablauf, Inhalt und rechtliche Wirkung. Zwischen ihnen besteht aber ein enger Sachzusammenhang. Einigungsstellenverfahren erstrecken sich häufig auf beide Komplexe. Interessenausgleich und Sozialplan werden in der Praxis meist zeitgleich abgeschlossen, was aber nicht immer der Fall sein muss.
Rz. 86
Der Zweck des Sozialplans besteht im Ausgleich oder in der Milderung wirtschaftlicher Nachteile für die von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer. Aus den Worten "geplante Betriebsänderung" in § 112 Abs. 1 BetrVG ergibt sich, dass ein Sozialplan (soweit er erzwingbar ist) grds. vor der Durchführung einer Betriebsänderung aufzustellen ist. Aus der sozialen Schutzfunktion des Sozialplans folgt aber, dass seine Aufstellung auch noch verlangt werden kann, wenn der Unternehmer die geplante Betriebsänderung bereits durchgeführt hat. Dies gilt auch, wenn der Unternehmer einen Interessenausgleich überhaupt nicht versucht hat, also auch die weiteren Rechtsfolgen nach § 113 BetrVG eintreten können. Der Unternehmer hat damit kein "Wahlrecht" zwischen Sozialplan und Nachteilsausgleich.
Rz. 87
Die betriebliche Praxis kennt auch sog. Rahmensozialpläne (Dauersozialpläne; vorsorgliche Sozialpläne). Solche Sozialpläne legen ähnlich wie tarifliche Rationalisierungsschutzabkommen im Voraus fest, welche Leistungen den Arbeitnehmern im Fall einer Betriebsänderung zukommen sollen. Sie entbinden den Arbeitgeber nicht von seiner Pflicht, bei später von ihm geplanten Betriebsänderungen jeweils einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat zu versuchen. Das BAG schien bisher davon auszugehen, dass ein bestehender Rahmensozialplan nicht die Mitbestimmung des Betriebsrates hinsichtlich der Aufstellung des Sozialplans für die konkrete Betriebsänderung substituiert. Da Rahmensozialpläne nur die Betriebspartner betreffen sollen, entstehen daraus grds. keine unmittelbaren Ansprüche für die Arbeitnehmer. Für deren Rechtsposition ist der im konkreten Fall abgeschlossene Sozialplan maßgebend.
In seiner Entscheidung vom 26.8.1997 hat das BAG aber nunmehr klargestellt, dass die Betriebspartner für noch nicht geplante, aber in groben Umrissen schon abschätzbare Betriebsänderungen einen Sozialplan in Form einer freiwilligen Betriebsvereinbarung aufstellen können. Darin liege noch kein (unzulässiger) Verzicht auf künftige Mitbestimmungsrechte. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 112 BetrVG soll verbraucht sein, falls eine entsprechende Betriebsänderung später tatsächlich vorgenommen wird. Für den Interessenausgleich gelten dagegen strengere Anforderungen; mit dem Betriebsrat muss über konkret geplante Maßnahmen verhandelt werden.