Dr. Thilo Klingbeil, Dr. iur. Simon Kohm
Rz. 81
Das vom Bundeskartellamt erstmals im Jahre 2000 eingeführte und nunmehr in den §§ 81h–81n GWB kodifizierte Kronzeugenprogramm bestimmt, dass einem Kartellteilnehmer, der durch seine Kooperation dazu beiträgt, ein Kartell aufzudecken, die Geldbuße erlassen oder reduziert wird (§ 81h Abs. 1 GWB). Das Kronzeugenprogramm unterscheidet in die Fälle, dass die Geldbuße erlassen wird, dass sie i.d.R. erlassen wird und dass die Geldbuße reduziert wird.
Dem Kartellteilnehmer wird die Geldbuße unter den kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen (§§ 81j, 81k Abs. 1 GWB) erlassen, dass
▪ |
er seine Kenntnis von dem Kartell und seine Beteiligung daran in dem Antrag auf Kronzeugenbehandlung gegenüber der Kartellbehörde offenlegt oder er im Falle eines zu seinen Gunsten geltenden Antrags umfassend an der Aufklärung des Sachverhalts mitwirkt, |
▪ |
er seine Beteiligung an dem Kartell unmittelbar nach Stellung des Antrags beendet, soweit nicht einzelne Handlungen nach Auffassung der Kartellbehörde möglicherweise erforderlich sind, um die Integrität ihrer Untersuchung zu wahren, |
▪ |
er ab dem Zeitpunkt der Stellung des Antrags bis zur Beendigung des kartellbehördlichen Verfahrens ernsthaft, fortgesetzt und zügig mit der Behörde kooperiert, |
▪ |
er als Erster Beweismittel vorlegt, die die Kartellbehörde zu dem Zeitpunkt, zu dem sie den Antrag auf Kronzeugenbehandlung erhält, erstmals in die Lage versetzen, einen Durchsuchungsbeschluss zu erwirken, |
▪ |
er nicht andere zur Beteiligung am oder zum Verbleib im Kartell gezwungen hat. |
Die Geldbuße wird dem Kartellteilnehmer i.d.R. erlassen, wenn die vorgenannten Voraussetzungen zwar erfüllt sind, aber das Bundeskartellamt zum Zeitpunkt der Mitteilung schon in der Lage ist, einen Durchsuchungsbeschluss zu erwirken (§ 81k Abs. 2 GWB). Maßgeblich ist dann, ob der Kartellant noch Beweismittel zum Nachweis der Tat beibringt und das Bundeskartellamt keine ausreichenden Beweise hat.
Eine Reduktion der Geldbuße kann erfolgen, wenn der Kartellteilnehmer die vorgenannten Grundvoraussetzungen erfüllt und Beweismittel für das Kartell vorlegt, die im Hinblick auf den Nachweis der Tat gegenüber den Informationen und Beweismitteln, die der Kartellbehörde bereits vorliegen, einen erheblichen Mehrwert aufweisen. Der Umfang der Reduktion richtet sich gem. § 81l Abs. 2 GWB insbesondere nach dem Nutzen der Aufklärungsbeiträge und der Reihenfolge der Anträge (Windhund-Prinzip).
In allen Fällen unterliegt der Antragsteller weitereichenden und fortlaufenden Kooperationspflichten, wonach er u.a. die Teilnahme an dem Kartell nach Aufforderung unverzüglich zu beenden hat, alle zugänglichen Informationen und Beweismittel zu übermitteln hat, Vertraulichkeit wahren muss und alle an der Kartellabsprache beteiligten Beschäftigten zu benennen und auf deren Kooperation hinzuwirken hat.
Da es für Erlass oder Reduktion der Geldbuße wesentlich darauf ankommt, zu welchem Zeitpunkt sich der Kartellbeteiligte beim Bundeskartellamt gemeldet hat, kann er seinen Antrag mit einem Rang versehen. Das erfolgt durch mündliche oder schriftliche Mitteilung der Bereitschaft zur Zusammenarbeit (sog. Marker), in der Angaben über Art und Dauer des Kartellverstoßes, die betroffenen Produkte und Gebiete, die Identität der Beteiligten sowie darüber, bei welchen Wettbewerbsbehörden ebenfalls Anträge gestellt wurden oder dies beabsichtigt ist (§ 81m Abs. 1 GWB). Nachfolgend muss dann innerhalb einer vom Bundeskartellamt gesetzten angemessenen Frist der Antrag auf Erlass der Geldbuße eingereicht werden (§ 81m Abs. 3 GWB). Der Rang entfällt, wenn ein Antragsteller seinen Verpflichtungen, insbesondere der Kooperationspflicht, nicht nachkommt.
Wird die Geldbuße erlassen, wird das Bundeskartellamt den durch das Kartell erlangten wirtschaftlichen Vorteil i.d.R. nicht abschöpfen. Kommt es zu einer Reduktion, wird der wirtschaftliche Vorteil i.d.R. in demselben Maße nicht abgeschöpft.
In der Praxis führt das Bundeskartellamt vergleichsartige Verfahren durch. Die vergleichswilligen Kartellbeteiligten werden dazu aufgefordert, eine Sachverhaltsbestätigung abzugeben, und es wird ein Kurz-Bußgeldbescheid erlassen, der nur den Mindestanforderungen an die Begründung genügt. Das Bußgeld wird dabei üblicherweise um 10 % reduziert.
Das Kronzeugenprogramm kann sich zudem positiv auf einen Kartellschadensersatzprozess auswirken. Ist einem an einem Kartell beteiligten Unternehmen die Geldbuße vollständig erlassen worden, haftet es nur seinen unmittelbaren und mittelbaren Abnehmern oder Lieferanten; die übrigen Kartellanten können das Unternehmen beim Innenregress auch nur bis zu dieser Höhe in Anspruch nehmen (§ 33e GWB).