Dr. Thilo Klingbeil, Dr. iur. Simon Kohm
Rz. 13
Als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung des Art. 101 Abs. 1 AEUV müssen sowohl die Wettbewerbsbeschränkung als auch die Eignung zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels spürbar sein. Ist wegen der schwachen Marktstellung der beteiligten Unternehmen der fragliche Produktmarkt nur geringfügig betroffen, fehlt es an der Spürbarkeit der Beeinträchtigung; Art. 101 und 102 AEUV sind dann nicht anwendbar.
Die Spürbarkeit einer Wettbewerbsbeschränkung ist von der Kommission in der de-minimis-Bekanntmachung näher bestimmt worden. Danach liegt keine Spürbarkeit vor, wenn die beteiligten Wettbewerber sind und auf dem relevanten Markt zusammen nicht mehr als 10 % Marktanteil haben und wenn es sich nicht um grds. bedenkliche Hardcore-Beschränkungen wie Preis-, Kunden- und Gebietsabsprachen, Produktionsbeschränkungen oder bestimmte Weiterverkaufsbeschränkungen handelt. Vereinbarungen, die eine Beschränkung des Wettbewerbs "bezwecken" und damit ein wettbewerbswidriges Ziel haben, werden nicht als von geringer Bedeutung angesehen und stellen immer eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung dar. Bei Absprachen zwischen Nichtwettbewerbern liegt die Spürbarkeitsgrenze bei nicht mehr als 15 % Marktanteil.
Hinsichtlich einer spürbaren Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten hat die Kommission eine Standarddefinition als widerlegliche Negativvermutung aufgestellt (sog. NAAT-Regel). Danach ist eine Vereinbarung nicht zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels geeignet, wenn der gemeinsame Marktanteil der Parteien auf keinem von der Vereinbarung betroffenen relevanten Markt innerhalb der Gemeinschaft 5 % überschreitet und wenn im Falle horizontaler Vereinbarungen der gesamte Jahresumsatz der beteiligten Unternehmen innerhalb der Gemeinschaft mit den von der Vereinbarung erfassten Waren einen Betrag von 40 Mio. EUR nicht übersteigt. Bei vertikalen Vereinbarungen ist der Lieferantenumsatz mit den betreffenden Waren heranzuziehen. Bei Lizenzvereinbarungen kommt es auf den Warenumsatz des Lizenznehmers und des Lizenzgebers mit diesen Waren an. Bei einem Netz gleichartiger Verträge ist der Umsatz mit allen Vertragswaren im Netz zu nehmen. Maßgeblich ist der Umsatz des vorangehenden Geschäftsjahres mit den Vertragswaren vor Steuern. Die Vermutung gilt auch, wenn während zwei aufeinander folgenden Kalenderjahren der Schwellenwert für den Jahresumsatz um höchstens 10 % und der Schwellenwert für den Marktanteil um höchstens 2 %-Punkte überschritten werden. Werden bei einer Vereinbarung die genannten Schwellen übertroffen, führt dies nicht automatisch zur Handelsbeeinträchtigung; es ist vielmehr eine Einzelfallprüfung vorzunehmen.