Dr. Peter Niggemann, Dr. Martin Buntscheck
Rz. 48
Auf vertikale Vereinbarungen, d.h. auf Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen zwischen zwei oder mehr Unternehmen, von denen jedes zwecks Durchführung der Vereinbarung auf einer unterschiedlichen Produktions- oder Vertriebsstufe tätig ist, und welche die Bedingungen betreffen, zu denen die Parteien bestimmte Waren oder Dienstleistungen beziehen, verkaufen oder weiterverkaufen können, ist die VO 2022/720 (die sog. Vertikal-GVO) anwendbar. Die Vertikal-GVO findet grds. auch auf Online-Vermittlungsdienste Anwendung. Vom Anwendungsbereich dieser GVO ausgeschlossen sind demgegenüber Lizenzvereinbarungen über gewerbliche Schutzrechte, zumindest sofern es sich hierbei um den Hauptgegenstand der Vereinbarung handelt. Vertikalvereinbarungen im Kfz-Sektor profitieren nur dann von der Vertikal-GVO, wenn gleichzeitig die Voraussetzungen der VO 461/2010 vorliegen. Für den zuletzt genannten Bereich besteht insofern eine eigenständige – unten noch näher anzusprechende – GVO.
Die Freistellung gilt schließlich auch nicht für vertikale Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern. Eine Ausnahme hiervon besteht nach Art. 4a) und b) VO 2022/720 nur für nichtwechselseitige vertikale Vereinbarungen, sofern
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der Lieferant zugleich Hersteller und Händler, der Käufer dagegen lediglich Händler von Waren ist oder |
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der Lieferant auf mehreren Wirtschaftsstufen als Dienstleistungserbringer tätig ist und der Käufer auf der Wirtschaftsstufe, auf der er die Vertragsdienstleistungen bezieht, keine mit diesen im Wettbewerb stehenden Dienstleistungen erbringt. |
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Die Ausnahmen des Art. 4a) und b) VO 2022/720 gelten dabei nicht für den Informationsaustausch zwischen Anbietern und Abnehmer, der entweder nicht direkt die Umsetzung der vertikalen Vereinbarung betrifft oder nicht zur Verbesserung der Produktion oder des Vertriebs der Vertragswaren oder Vertragsdienstleistungen erforderlich ist oder keine dieser beiden Voraussetzungen erfüllt. Ein solcher Informationsaustausch ist nicht nach der Vertikal-GVO vom Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV freigestellt. |
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Die Ausnahmen gelten auch nicht für vertikale Vereinbarungen zur Bereitstellung von Online-Vermittlungsdiensten, wenn der Anbieter der Online-Vermittlungsdienste ein Wettbewerber auf dem relevanten Markt für den Verkauf der vermittelten Waren und Dienstleistungen ist. Auch insoweit ist eine Freistellung nach der Vertikal-GVO nicht möglich. |
Rz. 49
Sofern die in dieser Verordnung aufgestellten Voraussetzungen erfüllt sind, ist Art. 101 Abs. 1 AEUV auf diese vertikalen Vereinbarungen nicht anwendbar. Die Vertikal-GVO setzt zunächst voraus, dass der Marktanteil des Lieferanten und der des Abnehmers jeweils nicht mehr als 30 % beträgt. Art. 8 VO 2022/720 enthält Regelungen zur Berechnung der Marktanteile. Des Weiteren darf es sich nicht um bestimmte, in der Vertikal-GVO näher aufgezählte Kernbeschränkungen handeln, welche die Anwendbarkeit der Vertikal-GVO insgesamt ausschließen. Bei diesen Kernbeschränkungen geht es um
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Preisbindungen, |
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Gebiets- oder Kundenkreisbeschränkungen, |
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Lieferbeschränkungen an Endverbraucher in selektiven Vertriebssystemen, |
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Querlieferungsbeschränkungen in selektiven Vertriebssystemen |
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Verhinderung der wirksamen Nutzung des Internets zum Verkauf von Vertragswaren oder Dienstleistungen und um |
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Lieferbeschränkungen für Ersatzteile. |
Neben diesen "schwarzen Klauseln" enthält die Vertikal-GVO auch eine Aufzählung sonstiger Beschränkungen, insb. verschiedene Wettbewerbsverbote und Best-Price-Klauseln bzw. Paritätsklauseln, die zwar nicht freigestellt sind, aber die Anwendbarkeit der Vertikal-GVO im Übrigen unberührt lassen ("graue Klauseln"). Die Kommission gibt Hinweise zur Anwendung und Auslegung der einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen der Vertikal-GVO in ihren Leitlinien zu vertikalen Beschränkungen. Sie sind bei der Bewertung des Sachverhalts heranzuziehen.