Rz. 269
Bei vollstreckbaren Vergleichen und Urkunden richten sich Voraussetzungen und Umfang einer Abänderung allein nach materiellem Recht. Vorrangig ist daher durch Auslegung zu ermitteln, ob und mit welchem Inhalt die Parteien eine bindende vertragliche Regelung hinsichtlich einer möglichen Herabsetzung oder zeitlichen Begrenzung getroffen haben. So können die Parteien durch einen Vergleich bewusst eine restlose und endgültige Regelung getroffen und damit eine spätere Abänderung wegen nicht vorhersehbarer Veränderungen der maßgeblichen Verhältnisse – ausdrücklich – ausgeschlossen haben. Hiervon ist aber im Zweifel nicht auszugehen. Die Darlegungs- und Beweislast für einen solchen Ausschluss trägt die Partei, die sich auf ihn beruft. Auch ein wirksam vereinbarter Einwendungsausschluss befreit allerdings nicht von der Prüfung, ob dieser selbst nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) einer Abänderung zugänglich ist.
Rz. 270
Lässt sich eine solche – (noch) bindende – Regelung durch die Parteien nicht ermitteln, so erfolgt die Abänderung der in einem vollstreckbaren Vergleich oder einer solchen Urkunde enthaltenen Zukunftsprognose nach den Grundsätzen über das Fehlen oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB). Ob eine Störung der Geschäftsgrundlage eingetreten ist, bestimmt sich nach dem der Einigung zugrunde gelegten Parteiwillen. Dieser ist Geltungsgrund der Vereinbarung und entscheidet darüber, welche Verhältnisse zur Grundlage der Einigung gehören und wie die Parteien diese Verhältnisse bewertet haben. Außer einer Veränderung der individuellen Verhältnisse können auch Änderungen einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung oder der Rechtslage zu Störungen einer vertraglichen Vereinbarung führen, die nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage im Wege der Anpassung zu bereinigen sind. Grundlage der Beurteilung in diesen Fällen ist, dass beim Abschluss einer Vereinbarung ein beiderseitiger Irrtum über die Rechtslage das Fehlen der Geschäftsgrundlage bedeuten kann, wenn die Vereinbarung ohne diesen Rechtsirrtum nicht oder nicht mit diesem Inhalt geschlossen worden wäre. Gleiches gilt, wenn der Geschäftswille der Parteien auf der gemeinschaftlichen Erwartung vom Fortbestand einer bestimmten Rechtslage aufgebaut war. Im Wege der Auslegung ist zu ermitteln, welche Verhältnisse die Parteien zur Grundlage ihrer Einigung gemacht haben. Anhand des Ergebnisses dieser Auslegung ist zu beurteilen, welche Auswirkungen sich aus Umständen ergeben, die sich anders als erwartet entwickelt haben.
Rz. 271
Haben sich die Grundlagen der Vereinbarung allerdings so tiefgreifend geändert, dass dem Parteiwillen für die vorzunehmende Änderung kein hinreichender Anhaltspunkt mehr zu entnehmen ist, kann in Betracht kommen, die Abänderung ausnahmsweise ohne fortwirkende Bindung an die unbrauchbar gewordenen Grundlagen des abzuändernden Vergleichs vorzunehmen und die geschuldete zukünftige Leistung wie bei einer Erstfestsetzung nach den gesetzlichen Vorschriften zu bemessen.
Rz. 272
Die Anpassung von vollstreckbaren Urkunden ohne Geschäftsgrundlage – insbesondere solcher mit einseitiger Zwangsvollstreckungsunterwerfung – kann, soweit diese zugleich ein Schuldanerkenntnis (§ 781 BGB) enthalten, vom Schuldner nur begehrt werden, wenn sich eine nachträgliche Änderung der tatsächlichen Umstände, des Gesetzes oder der höchstrichterlichen Rechtsprechung auf seine Leistungspflicht auswirkt.
Rz. 273
Da sich die Voraussetzungen und der Umfang einer Abänderung bei vollstreckbaren Vergleichen und Urkunden allein nach materiellem Recht richten, finden die für eine gegen ein Urteil gerichtete Abänderungsklage bestehenden Beschränkungen bei der Anpassung solcher Vereinbarungen keine Anwendung. Insbesondere kommt es weder darauf an, ob die Veränderung wesentlich im oben genannten Sinne (Rdn 254 ff.) ist, noch greifen die dort bestehenden zeitlichen Schranken (§ 323 Abs. 2 und 3 ZPO). Auch bei vollstreckbaren Vergleichen und Urkunden ist aber im Abänderungsprozess grundsätzlich keine abweichende Beurteilung der zugrunde liegenden Verhältnisse möglich. Ferner können materiell-rechtliche Gründe einer rückwirkenden Abänderung entgegenstehen.
Rz. 274
War ein vollstreckbarer Vergleich oder eine vollstreckbare Urkunde bereits Gegenstand eines Abänderungsverfahrens und ist dort durch Urteil abgeändert worden, so gelten für dessen neuerliche Anpassung die Vorschriften über die Abänderung von Urteilen (§ 323 ZPO). Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn die vorangegangene Abänderungsklage zurückgewiesen wurde, falls das klageabweisende Urteil – im Rahmen der Überprüfung der ursprünglichen Prognose – die künftige Entwicklung der Verhältnisse vorausschauend berücksichtigt. Betrifft das Abänderungsurteil allerdings nur einen begrenzten Zeitraum, so bleibt der ursprüngliche Vergleich Gegenstand einer Abänderungsklage für weitergehende Ansp...