Rz. 130
Für die Frage, ob nach einer Arbeitgeberkündigung mit unwiderruflicher Freistellungserklärung während des nachfolgenden Kündigungsschutzprozesses anderweitiges Arbeitseinkommen auf die Entgeltfortzahlung anzurechnen ist, gilt nach der Rechtsprechung des BAG Folgendes: Soweit der Arbeitnehmer während einer einseitig vom Arbeitgeber erklärten unwiderruflichen Freistellung Zwischenverdienste erzielt, muss er sich diese grundsätzlich gem. § 615 BGB bzw. § 11 KSchG anrechnen lassen, da sich der Arbeitgeber in Annahmeverzug befindet. Eine abweichende Regelung muss ausdrücklich vereinbart sein (vgl. BAG v. 27.5.2020 – 5 AZR 101/19, juris). Erzielt der Arbeitnehmer keine Einkünfte, stellt sich die Frage eines etwaigen böswilligen Unterlassens (vgl. ausführlich u. kritisch zur Rspr. des BAG, Schubert/Jörgensen, BB 2023, 55 ff.). Bleibt der Arbeitnehmer untätig, kann ihm dies zum Nachteil gereichen. Maßgebend sind die gesamten Umstände des Einzelfalls (vgl. BAG v. 12.10.2022 – 5 AZR 30/22, juris Rn 14; BAG v. 19.1.2022 – 5 AZR 346/21, juris; BAG v. 8.9.2021 – 5 AZR 205/21, juris). Die unterlassene Arbeitsuchendmeldung allein ist nach der Rspr. des BAG keine Böswilligkeit beim Annahmeverzug (vgl. BAG v. 12.10.2022 – 5 AZR 30/22, juris Rn 5 u. 29; s. auch unten Rdn 133).
Rz. 131
Ist in einem Aufhebungsvertrag eine unwiderrufliche Freistellung von der Arbeit unter Fortzahlung der Vergütung und Anrechnung von Urlaub bis zum Beendigungszeitpunkt vereinbart, ist nach der Rechtsprechung des BAG im Urt. v. 23.2.2021 (5 AZR 314/20, juris Rn 11) ein anderweitig erzielter Verdienst grds. nicht auf den Vergütungsanspruch anzurechnen. Soweit eine ausdrückliche Regelung zur Anrechnung fehlt und eine planwidrige Regelungslücke vorliegt, kann indes die Auslegung eines Aufhebungsvertrags ergeben, dass die Anrechnung anderweitig erzielten Verdienstes auf den Vergütungsanspruch konkludent vereinbart sein kann (vgl. BAG im Urt. v. 23.2.2021 – 5 AZR 314/20, juris Rn 13). Zu diesem Ergebnis kam das BAG in einem Fall, in dem der Aufhebungsvertrag offenließ, welche Rechtsfolge eintritt, wenn der Arbeitnehmer im Fall der Aufnahme einer anderen Erwerbstätigkeit während des fortbestehenden Arbeitsverhältnisses mit dem Arbeitgeber von der Möglichkeit zur vorzeitigen Beendigung des Anstellungsverhältnisses durch eine Sprinterklausel keinen Gebrauch macht (vgl. ausführlich zur Sprinterklausel unten Rdn 196 ff.). Nur während der Zeit der Urlaubsgewährung erfolge keine Anrechnung anderweitigen Verdienstes.
Rz. 132
Hinweis zur Anrechnung anderweitigen Verdienstes
Nach der Rechtsprechung des BAG muss sich ein Arbeitnehmer nach Abschluss eines Aufhebungsvertrags in dem Zeitraum einer unwiderruflichen Freistellung von seiner Arbeitspflicht bis zum rechtlichen Ende etwaige, im Rahmen einer anderweitigen Tätigkeit erzielte Einkünfte auf eine vom Arbeitgeber fortgezahlte Vergütung nicht anrechnen lassen (vgl. BAG v. 23.2.2021 – 5 AZR 314/20, juris Rn 11).
Rz. 133
In der Praxis war und ist es vielfach für Arbeitgeber schon im Ansatz schwierig, dem Arbeitnehmer einen böswillig unterlassenen Verdienst nachzuweisen. Dazu weist das BAG, mit einem weiteren Urteil ebenfalls vom 27.5.2020, auf die aus § 242 BGB folgenden Nebenpflicht des Arbeitnehmers für ein entsprechendes Auskunftsbegehren des Arbeitgebers hin. Danach hat der Arbeitgeber Anspruch auf schriftliche Auskunft über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter dem Arbeitnehmer im Verzugszeitraum unterbreiteten Vermittlungsvorschläge unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung (vgl. BAG v. 27.5.2020 – 5 AZR 387/19, juris Rn 28; vgl. ferner zu einem auf § 242 BGB gestützten materiell-rechtlichen Auskunftsanspruch: BAG v. 12.10.2022 – 5 AZR 135/22, juris, mit Berichtigungsbeschluss v. 24.2.2023, juris). Insgesamt erfordert die Beurteilung der Böswilligkeit i.S.v. § 11 Nr. 2 KSchG stets eine unter Bewertung aller Umstände des konkreten Falls vorzunehmende Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen (vgl. BAG v. 12.10.2022 – 5 AZR 30/22, juris Rn 14 Führungskraft in Spezialbranche; BAG v. 19.1.2022 – 5 AZR 346/21, juris Rn 31). Allein die Verletzung der Meldepflicht nach § 38 Abs. 1 SGB III indiziert nicht bereits die Böswilligkeit nach § 11 Nr. 2 KSchG (vgl. BAG v. 12.10.2022 – 5 AZR 30/22, juris Orientierungssatz Nr. 1 S. 1 u. Rn 14 u. 17; BAG v. 23.2.2021 – 5 AZR 213/20, juris; vgl. aber auch ArbG Stuttgart v. 23.2.2023 – 25 Ca 956/22, juris). Dies dürfte insbesondere für Führungskräfte gelten, die Headhunter kontaktieren).
Hinweis zum böswilligen Unterlassen
Soweit es auf ein böswilliges Unterlassen ankommt, erhöhen Arbeitgeber ihre Chancen zur Reduzierung eines etwaigen zu zahlenden Annahmeverzugslohns, wenn sie dem Arbeitnehmer Stellenangebote von online-Jobportalen übersenden, und der Arbeitnehmer gleichwohl untätig bleibt (vgl. ausführlich Schubert/Jörgensen, BB 2023, 55 ff.).