Rz. 9
In der Praxis kommt der Aufhebungsvereinbarung sowohl als außergerichtlicher Aufhebungsvertrag ohne vorausgehende Kündigung (= klassischer Aufhebungsvertrag) als auch im Rahmen eines nach Ausspruch einer Kündigung im Kündigungsschutzprozess geschlossenen gerichtlichen Vergleiches, der vielfach bereits im Gütetermin (vgl. § 54 ArbGG) abgeschlossen wird, große Bedeutung zu. Von einem Abwicklungsvertrag wird gesprochen, wenn nach einer arbeitgeberseitigen Kündigung die Modalitäten der Abwicklung des Arbeitsverhältnisses geregelt werden (vgl. Hümmerich, Der Abwicklungsvertrag, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts, S. 245 m.w.N.). Der (echte) Abwicklungsvertrag unterscheidet sich daher vom Aufhebungsvertrag dadurch, dass er das Anstellungsverhältnis nicht selbst beendet.
Rz. 10
Die Bedeutung des Abwicklungsvertrages diente ursprünglich in erster Linie dem Ziel, die drohende zwölfwöchige Sperrzeit beim Alg gem. § 159 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III (bis 31.3.2012: § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III, geändert durch das Eingliederungschancengesetz, BGBl I 2011, 2854 ff.) zu vermeiden. Denn das BSG hatte in seiner früheren Rspr. den Abschluss eines Aufhebungsvertrages grds. als sperrzeitrelevant angesehen, weil der Arbeitnehmer damit aktiv zur Lösung des Arbeitsverhältnisses beigetragen habe. Nachdem das BSG auch den Abwicklungsvertrag als grds. sperrzeitrelevant ansah (vgl. BSG v. 18.12.2003 – B 11 AL 35/03 R, NZA 2004, 661 = DB 2004, 1514) und damit insoweit wie den Aufhebungsvertrag behandelte, war dieser Weg zur Vermeidung der Sperrzeit verschlossen. Aufhebungs- und Abwicklungsverträge spielten in der Praxis nur in Fällen eine Rolle, in denen es auf das Alg nicht ankam, wie wenn im Zeitpunkt der Unterzeichnung des Aufhebungs- oder Abwicklungsvertrages der nahtlose Wechsel in ein neues Beschäftigungsverhältnis schon feststand. Es wuchs hingegen die Bedeutung des arbeitsgerichtlichen Vergleichs, da nach der für die Praxis seinerzeit maßgeblichen DA der Bundesanstalt für Arbeit (heute: FW der BA = Fachliche Weisungen der Bundesagentur für Arbeit) der Arbeitnehmer dann nicht mit einer Sperrzeit rechnen musste, wenn nach einer rechtswidrigen Arbeitgeberkündigung ein arbeitsgerichtlicher Vergleich geschlossen wurde (so auch heute, vgl. Fachliche Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zu § 159 SGB III, FW 159.1.1.1 (4) Unterpunkt 5, Stand 8/2022, gültig ab 1.9.2022). Letztlich wurden damit Arbeitnehmer in die gerichtliche Auseinandersetzung gedrängt, selbst wenn einfacher und schneller eine außergerichtliche Einigung möglich gewesen wäre.
Rz. 11
Eine grundlegende Trendwende, die zu einer Aktualisierung und vollständigen Überarbeitung der DA der BA (heute: FW der BA Stand 8/2022 = Fachliche Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zu § 159 SGB III, Trendwende eingeleitet mit der Aktualisierung 10/2007 www.arbeitsagentur.de) führte und letztlich eine Renaissance des Aufhebungs- und Abwicklungsvertrages bedeutet (vgl. Lipinski/Kumm, BB 2008, 162), erfolgte durch das BSG mit Urt. v. 12.7.2006 (NZA 2006, 1359 = DB 2006, 2521; vgl. auch zuvor BSG v. 17.11.2005, NZA 2006, 422). Der Gedanke des § 1a KSchG, der für den Fall einer betriebsbedingten Arbeitgeberkündigung eine einfache Klärung der Voraussetzungen für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses beinhaltet, wird auf den Aufhebungs- und Abwicklungsvertrag übertragen. Schließen Arbeitgeber und Arbeitnehmer angesichts einer drohenden Arbeitgeberkündigung aus betrieblichen oder (neu seit 12/2016) personenbezogenen (nicht aber verhaltensbedingten) Gründen und unter Einhaltung der für den Fall der Arbeitgeberkündigung geltenden Kündigungsfrist einen Aufhebungsvertrag, und ist der Arbeitnehmer nicht unkündbar, tritt eine Sperrfrist dann nicht ein, wenn eine Abfindung von bis zu 0,5 Monatsgehältern pro Beschäftigungsjahr gezahlt wird. Eine Prüfung der sozialen Rechtfertigung erfolgt nicht! (vgl. FW 159.1.2.1.1 (2) 1. der BA zu § 159 SGB III = Fachliche Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zu § 159 SGB III, Stand 8/2022; Fuhlrott, NZA 2017, 225; BSG v. 2.5.2012 – B 11 AL 6/11 R). Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn im konkreten Fall Anhaltspunkte für eine Gesetzesumgehung zulasten der Versicherungsgemeinschaft vorliegen (vgl. BSG v. 2.5.2012 – B 11 AL 6/11 R). Ansonsten erfolgt die Prüfung der Rechtmäßigkeit nur, wenn die Abfindung 10 % (oder mehr) über 0,5 Monatsgehältern pro Beschäftigungsjahr liegt, was unbedingt zu beachten ist (vgl. FW 159.1.2.1.1 (2) 2.b) der BA zu § 159 SGB III = Fachliche Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zu § 159 SGB III, Stand 8/2022; s. im Einzelnen unten Rdn 100 ff., 102, 111).
Rz. 12
Aufhebungs- und Abwicklungsverträge werden gleichbehandelt (vgl. FW 159.1.2.1.2 der BA zu § 159 SGB III = Fachliche Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zu § 159 SGB III, Stand 8/2022 "Abwicklungsverträge, die in eine Gesamtabsprache eingebunden sind (verdeckte Aufhebungsverträge), sind wie Aufhebungsverträge zu bewerten"). Bei einem arbeitsgerichtlichen Vergleich gilt keine O...