Rz. 300
I.R.d. Verhandlungen zur Trennung stellt sich vielfach die Frage, ob der Arbeitgeber berechtigt ist, durch einseitigen Widerruf die betriebliche Versorgungszusage zu beenden, wenn dem Mitarbeiter Verfehlungen vorgeworfen werden. Die Messlatte für einen solchen einseitigen Widerruf ist hoch.
Rz. 301
Grobe Pflichtverletzungen, die ein Arbeitnehmer begangen hat, berechtigen den Arbeitgeber nur dann zum Widerruf der Versorgungszusage, wenn die Berufung des Arbeitnehmers auf das Versorgungsversprechen rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB) ist (vgl. BAG v. 13.11.2012 – 3 AZR 444/10). Nach der Rspr. des BAG reicht ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung allein nicht aus, um den Widerruf einer Versorgungszusage zu rechtfertigen (vgl. BAG v. 8.5.1990 – 3 AZR 152/88, NZA 1990, 807 = DB 1990, 2173). Anders ist es, wenn eine rechtzeitige Entdeckung schwerer Verfehlungen zur fristlosen Kündigung geführt hätte, bevor die Versorgungsanwartschaft unverfallbar wurde und der Arbeitnehmer den Arbeitgeber durch die Vertuschung des Fehlverhaltens daran gehindert, noch vor Eintritt der Unverfallbarkeit zu kündigen (vgl. BAG v. 13.11.2012 – 3 AZR 444/10). Die Berufung des Arbeitnehmers auf eine unverfallbare Versorgungszusage kann – auch in Form einer mittelbaren Versorgungszusage durch Abschluss einer Direktversicherung (vgl. OLG Düsseldorf v. 25.11.1999 – 6 U 146/98, DB 2000, 1656 = GmbHR 2000, 666) – rechtsmissbräuchlich sein (§ 242 BGB). Insofern ist ein vertraglicher Widerrufsvorbehalt regelmäßig nur als deklaratorischer Hinweis auf den Rechtsmissbrauchseinwand zu verstehen (BAG v. 17.6.2014 – 3 AZR 412/13). Der "Widerruf" einer Versorgungszusage ist kein fristgebunden auszuübendes Gestaltungsrecht, sondern findet seine Grundlage in dem Einwand rechtsmissbräuchlichen Verhaltens, den der Verpflichtete dem Begehren des Berechtigten mit Rücksicht auf dessen schwerwiegendes Fehlverhalten entgegensetzen kann (vgl. BGH v. 13.12.1999 – II ZR 152/98, DB 2000, 1328 = NJW 2000, 1197). Missbraucht der Arbeitnehmer seine Stellung über lange Zeit hinweg dazu, den Arbeitgeber zu schädigen und erweist sich die von ihm erbrachte Betriebstreue im Rückblick als wertlos, kann dies den Einwand rechtsmissbräuchlichen Verhaltens begründen. Doch sind weder die Schädigung als solche noch die Schadenshöhe für sich allein genommen entscheidend. Es kommt auf die Umstände des Einzelfalles an, die insgesamt und im Zusammenhang zu würdigen sind (vgl. BAG v. 8.5.1990 – 3 AZR 152/88, NZA 1990, 807 = DB 1990, 2173 kein Widerruf bei 22-jähriger untadeliger Verhaltensweise ggü. 4 1/2 Jahren Treulosigkeit).
Rz. 302
Eine unverfallbare Versorgungszusage kann ganz oder teilweise "widerrufen" werden, wenn ein besonders gewichtiger Verstoß gegen Dienstpflichten vorliegt und sich wegen der Zufügung eines schweren, die Existenz bedrohenden (Vermögens-)Schadens oder eines durch Ersatzleistungen nicht wieder gut zu machenden schweren Schadens die Betriebstreue des Dienstverpflichteten für den Dienstberechtigten als erheblich entwertet oder wertlos erweist (vgl. BGH v. 13.11.2012 – 3 AZR 444/10 Vertuschen-Fall; BGH v. 13.12.1999 – II ZR 152/98, DB 2000, 1328 = NJW 2000, 1197, im Fall des Vorstandsmitgliedes einer Volksbank mit mehr als 13,6 Mio. EUR uneinbringlicher Forderungen bei einem haftenden Eigenkapital der Bank von nur rd. 11,25 Mio. EUR). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann die Beschränkung des "Widerrufes" der Versorgungszusage auf den im Zeitpunkt der Pflichtverletzungen erworbenen Teil der Versorgungsanwartschaften gebieten (vgl. OLG Düsseldorf v. 25.11.1999 – 6 U 146/98, DB 2000, 1656 = GmbHR 2000, 666). Auch die Aufnahme der Tätigkeit eines Ruheständlers nach Vollendung des 65. Lebensjahres in einem Konkurrenzunternehmen des Arbeitgebers kann den Einwand arglistigen Verhaltens begründen. Bei der Würdigung der Umstände des Einzelfalles sind der Verzicht des Arbeitgebers auf ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot und die Höhe der Betriebsrente zu berücksichtigen. In dem vorliegenden Fall kam das BAG zu dem Ergebnis, dass der monatliche Betrag von rd. 17,50 EUR Betriebsrente in keinem Verhältnis zu den Kosten eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbotes stünde, für das der Arbeitgeber auf die Dauer von bis zu zwei Jahren monatlich rd. 1.500,00 EUR hätte aufwenden müssen. Da die Tätigkeit des Arbeitnehmers für den Konkurrenten auch keine schwerwiegenden Folgen für den Arbeitgeber ausgelöst hatte, schied ein Widerruf aus (vgl. BAG v. 3.4.1990 – 3 AZR 211/89, NZA 1990, 808 = DB 1990, 1870).