Rz. 177
In einigen europäischen Ländern (Frankreich, Italien, Kroatien, Spanien, Luxemburg, Portugal, Schweiz, Türkei) entsteht die Stellung eines Pflichtteilsberechtigten (Noterben) nicht automatisch mit dem Tod des Erblassers und der testamentarischen Enterbung der zum Kreise der pflichtteilsberechtigten Personen. Vielmehr ist es in einigen Ländern erforderlich, eine Herabsetzungsklage zu erheben. Erst nach erfolgreich durchgeführter Klage gelangt der Enterbte in die Stellung eines Noterben/Pflichterben. In aller Regel handelt es sich bei dem Pflichtteilsanspruch nicht um einen schuldrechtlichen Anspruch des enterbten Pflichtteilsberechtigten gegenüber den testamentarischen Erben, sondern stellt eine echte quotale Beteiligung am Nachlass in Form einer Erbquote dar. Vor diesem Hintergrund spricht man bezüglich dieses Personenkreises auch von Noterben bzw. Pflichterben.
Rz. 178
Sofern dieser Rechtsanspruch in Deutschland verfolgt wird, ist die Klage als Gestaltungsklage zu erheben. Die Klage auf Kürzung, also Herabsetzung der testamentarischen Verfügung, ist dabei jedoch keine wesensfremde Tätigkeit eines deutschen Gerichts. Vielmehr sind die deutschen Gerichte zuständig, wenn sie örtlich zuständig sind. Hintergrund dieser Rechtsauffassung ist schlicht der Umstand, dass nicht einerseits über Art. 22 EuErbVO (Rechtswahl zugunsten des Heimatrechts) zwingend die Anwendung ausländischen Rechts ausgesprochen werden kann und andererseits dem betroffenen Enterbten im Inland die Möglichkeit der Wahrung seiner Rechte genommen würde, sofern man sich darauf beriefe; in diesem Fall läge eine wesensfremde Tätigkeit eines Gerichts vor. Zuständig sind jedoch nicht die Nachlassgerichte, sondern die ordentlichen Gerichte im Rahmen der Anwendung von § 27 ZPO. In der Klageschrift finden dann in prozessualer Hinsicht die deutsche Zivilprozessordnung und in materieller Hinsicht das jeweilige materielle Recht des Landes Anwendung, das der Erblasser von Todes wegen gewählt hat. Was die materiellrechtlichen Ausführungen zur Erbfolge und zum Noterbenrecht und deren Erbquote anbelangt, wird man in aller Regel nicht um die Einholung eines Rechtsgutachtens umhinkommen.
Rz. 179
Die erfolgreiche Herabsetzung erfolgt durch rechtskräftiges Urteil. Danach kann der Pflichtteilsberechtigte Noterbe einen Erbschein beantragen bzw. einen bereits ergangenen Erbschein, welcher unrichtig ist, einziehen lassen. Ferner ist der Pflichtteilsberechtigte Mitglied der Erbengemeinschaft entsprechend seiner Noterbenquote.