Rz. 125
Bei der Überprüfung einer etwaigen Überschuldung des Nachlasses im Sinne des Insolvenzrechts und der Insolvenzantragspflicht aus § 1980 BGB bleiben die Vermächtnisse als Nachlassverbindlichkeiten außer Betracht, §§ 1980 Abs. 1 S. 3 BGB, 317 InsO.
Rz. 126
Beruht die Überschuldung des Nachlasses aber auf den Verbindlichkeiten aus Vermächtnissen und Auflagen, so stellt das Gesetz dem Erben eine einfachere Haftungsbeschränkungsmaßnahme zur Verfügung als die Nachlassinsolvenz: die Überschwerungseinrede des § 1992 BGB.
Der Erbe muss in diesem Falle die Vermächtnisse bis zur völligen Erschöpfung des Nachlasses erfüllen. Dies ergibt sich aus § 1992 BGB (Überschwerungseinrede).
Dazu der BGH in BGHZ 37, 233, 241:
Zitat
"... Der Erbe hat die Wahl, die Erbschaft anzunehmen oder auszuschlagen (§ 1942 BGB). Nimmt er sie an, so hat er ein Vermächtnis grundsätzlich bis zur völligen Erschöpfung des Nachlasses zu erfüllen; das ergibt sich aus der Vorschrift des § 1992 BGB, die auch für den Fall, dass der Nachlass durch das Vermächtnis überschuldet wird, dem Erben ein Befriedigungsweigerungsrecht nur insoweit gibt, als der Nachlass nicht ausreicht (§ 1990 BGB), und ihm für diesen Fall nur die Herausgabe der noch vorhandenen Nachlassgegenstände oder die Zahlung ihres Wertes zur Wahl stellt. ..."
Allerdings ist in den Fällen, in denen im Zeitpunkt der Anordnung der Vermächtnisse und Auflagen noch keine Überschuldung anzunehmen war, im Wege der hypothetischen Testamentsauslegung zu prüfen, ob nicht eine Minderung der Vermächtnisse in Betracht kommt und dann eine Überschuldung des Nachlasses gar nicht mehr vorliegt.
Rz. 127
Das Gesetz vermutet, der Erblasser habe durch seine Anordnungen keine Nachlassinsolvenz herbeiführen wollen. Der Fall einer Überschuldung durch Vermächtnisse und Auflagen kann eintreten, wenn der Erblasser bei Testamentserrichtung ausreichend Vermögen zur Erfüllung seiner Anordnungen hatte, dieses Vermögen sich aber bis zu seinem Tode so weit verringert hat, dass eine Überschwerung eintritt. Gerade in einem solchen Fall ist die Frage einer betragsmäßigen Reduktion im Wege der hypothetischen Testamentsauslegung zu prüfen.
Hinweis für die Testamentsgestaltung
Um eine Überschwerung des Nachlasses zu vermeiden, sollten Vermächtnisbeträge durch die Anordnung einer prozentualen Obergrenze "gedeckelt" werden.
Formulierungsbeispiel: Begrenzung eines Geldvermächtnisses
Als Geldvermächtnisse erhalten: (…) je den Betrag von (…) EUR, maximal jedoch jeder (…) % des dereinstigen Netto-Wertes des Nachlasses des Überlebenden. Der Netto-Wert des Nachlasses wird entsprechend der Regelung des § 2311 BGB bestimmt.
In Fällen des wertbezogenen Vermächtnisses hat der Vermächtnisnehmer gegen den Erben Anspruch auf Auskunft über die Höhe des Nachlasses.
Rz. 128
Der Erbe kann nach Erhebung der Einrede die Vermächtnisnehmer nach §§ 1990, 1991 BGB auf den Restnachlass verweisen und den Nachlass zum Zwecke der Befriedigung des Vermächtnisnehmers im Wege der Zwangsvollstreckung herausgeben.
Rz. 129
Hinweis
Zeichnet sich eine Überschwerung (oder auch eine Dürftigkeit nach § 1990 BGB) ab, so sollte der Erbe auf eine genaue Sonderung der Nachlassgegenstände von seinem Eigenvermögen achten und sie erforderlichenfalls in einem besonderen Raum lagern, damit im Ernstfall der Nachlass auch tatsächlich zur Verwertung herausgegeben werden kann.
Rz. 130
Hier konkretisiert sich das Recht der Haftungsbeschränkung in der Weise, dass dem Gläubiger seine Haftungsgrundlage – der Nachlass – in corpore zur Verfügung gestellt wird.
Rz. 131
Allerdings hat der Erbe wahlweise statt der Herausgabe ein Abfindungsrecht nach § 1992 S. 2 BGB: Zahlung des Wertes der Nachlassgegenstände an die Vermächtnisgläubiger.
Rz. 132
Ist ein bestimmter Nachlassgegenstand vermacht, so wandelt sich der Vermächtnisanspruch nach Erhebung der Überschwerungseinrede in einen verhältnismäßig gekürzten Geldanspruch um. Der Vermächtnisnehmer kann aber die Übertragung des Gegenstands verlangen, wenn er Zug um Zug den erforderlichen Kürzungsbetrag leistet.
Rz. 133
Im Verhältnis zwischen Hauptvermächtnisnehmer und Untervermächtnisnehmer gelten nach § 2187 Abs. 3 BGB die gleichen Regeln.
Rz. 134
Im Prozess des Vermächtnisnehmers gegen den Erben muss der Erbe nach Erhebung der Einrede einen Haftungsbeschränkungsvorbehalt nach § 780 ZPO in den Urteilstenor aufnehmen lassen (Aufnahme des Vorbehalts in die Urteilsgründe reicht nicht). (Zum Haftungsbeschränkungsvorbehalt nach § 780 ZPO siehe § 20 Rdn 231 ff.). Steht fest, dass der Nachlass überschwert ist, so kann dies sofort im Prozess berücksichtigt werden bei der Entscheidung über die Vermächtnisforderung (teilweises Zusprechen der Klageforderung). Darauf sollte immer gedrängt werden, wenn die Rechtslage dies zulässt. Andernfalls muss die Verwirklichung der Haftungsbeschränkung in der Zwangsvollstreckung erfolgen mittels einer Vollstreckungsgegenklage nach §§ 781, 785, 767 ZPO, falls der Nachlassgläubiger nicht in den Nachlass, sondern in das ...