Rz. 91
Ein berechtigtes Interesse für den Aufschub der Veröffentlichung kann gem. Erwägungsgrund 50 MMVO vorliegen, wenn etwa laufende Verhandlungen von der Veröffentlichung der Insiderinformation wahrscheinlich beeinträchtigt werden würden. Ein berechtigtes Interesse liegt danach auch vor, wenn eine vom Geschäftsführungsorgan eines Emittenten getroffene Entscheidung der Zustimmung durch ein anderes Organ des Emittenten bedarf, um wirksam zu werden, und zudem eine Bekanntgabe der Information vor der Zustimmung zusammen mit der gleichzeitigen Ankündigung, dass die Zustimmung noch aussteht, die korrekte Bewertung der Information durch das Publikum gefährden würde.
Die ESMA hat entsprechend ihrem Regelungsauftrag in Leitlinien zu den Anforderungen an ein berechtigtes Interesse für den Aufschub der Veröffentlichung Stellung genommen. Danach liegen berechtigte Interessen insbesondere dann vor, wenn u.a.:
Zitat
(i) |
der Emittent Verhandlungen führt und deren Ergebnis wahrscheinlich durch die unverzügliche Bekanntgabe gefährdet würde. Als Beispiel für solche Verhandlungssituationen werden Fusionen, Übernahmen, Aufspaltungen und Spin-offs, Erwerb oder Veräußerung von wesentlichen Vermögenswerten, Unternehmenszweigen, Umstrukturierungen und Reorganisationen genannt. |
(ii) |
die finanzielle Überlebensfähigkeit stark und unmittelbar gefährdet ist, ohne dass der Anwendungsbereich des Insolvenzrechts eröffnet ist, und wenn die unverzügliche Bekanntgabe die Interessen der vorhandenen oder potenziellen Aktionäre erheblich beeinträchtigen würde, indem der Abschluss der Verhandlungen, die eigentlich zur Gewährleistung der finanziellen Erholung des Emittenten gedacht sind, gefährdet würde. |
(iii) |
die Insiderinformation sich auf von der Geschäftsleitung (d.h. Vorstand oder Geschäftsführung) getroffene Entscheidungen oder abgeschlossene Verträge bezieht, die nach nationalem Recht oder den Statuten des Emittenten für ihre Wirksamkeit der Zustimmung eines anderen Organs des Emittenten bedürfen (z.B. Aufsichtsrat, nicht aber Hauptversammlung), vorausgesetzt, dass
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die unverzügliche Veröffentlichung der Information vor einer endgültigen Entscheidung die korrekte Bewertung der Information durch das Publikum gefährdet, und |
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der Emittent dafür Sorge getragen hat, dass die endgültige Entscheidung so schnell wie möglich getroffen wird. |
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(iv) |
der Emittent Produkte entwickelt oder Erfindungen gemacht hat und die unverzügliche Veröffentlichung der Information die geistigen Eigentumsrechte des Emittenten aller Wahrscheinlichkeit nach gefährdet. |
(v) |
der Emittent plant, eine wesentliche Beteiligung an einem anderen Rechtsträger zu kaufen oder zu verkaufen und die Veröffentlichung dieser Information die Durchführung dieses Plans aller Wahrscheinlichkeit nach gefährden würde. |
(vi) |
ein früher bereits angekündigtes Geschäft unter dem Vorbehalt der Genehmigung einer staatlichen Behörde steht und diese Genehmigung an weitere Auflagen gebunden ist, und die unverzügliche Veröffentlichung dieser Auflagen die Fähigkeit des Emittenten zur Erfüllung dieser Auflagen aller Wahrscheinlichkeit nach gefährden und damit den endgültigen Erfolg des Geschäfts letztlich verhindern kann. |
Kein berechtigtes Interesse wird verfolgt, wenn der Aufschub ausschließlich dem Zweck dient, dass Kursbewegungen verhindert oder Mitarbeiter vorab informiert werden sollen. Nach § 6 Satz 1 WpAV müssen die berechtigten Interessen des Emittenten an der Geheimhaltung der Information die Interessen des Kapitalmarkts an einer vollständigen und zeitnahen Veröffentlichung überwiegen. Maßgeblich sind nur die Interessen des Emittenten, nicht aber die eines Dritten, z.B. eines Verhandlungspartners.