Rz. 250
In Deutschland gab es im Gegensatz zu anderen führenden Finanzmärkten bis zum 1.1.2002 keine gesetzliche Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen.
Mit der Übernahmerichtlinie wurde EU-weit Klarheit und Transparenz bei der Abwicklung von Übernahmeangeboten geschaffen. Da das WpÜG auf der Grundlage eines gemeinsamen Standpunkts des Ministerrats für eine "Dreizehnte Richtlinie auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts betreffend Übernahmeangebote" als vorweggenommene Umsetzung einer Übernahmerichtlinie konzipiert war, entsprach das WpÜG bereits vor Inkrafttreten des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes weitgehend den Anforderungen der Übernahmerichtlinie.
Rz. 251
Durch das Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz wurden die bestehenden Regeln daher nur geändert, soweit dies zur ordnungsgemäßen Umsetzung der Übernahmerichtlinie erforderlich war. Änderungs- und Ergänzungsbedarf bestand insb. im Hinblick auf den Geltungsbereich des WpÜG bei Übernahmen mit grenzüberschreitendem Bezug (Art. 4 der Übernahmerichtlinie), zur Umsetzung des europäischen Verhinderungsverbots und der europäischen Durchbrechungsregel und der Einführung eines übernahmerechtlichen Ausschlusses von Minderheitsaktionären (Squeeze-out) und einem Andienungsrecht (Sell-out) für die Minderheitsaktionäre.
Hinweis
Sämtliche bislang nach dem WpÜG veröffentlichten Angebote können auf der Internetseite der BaFin unter http://www.bafin.de abgerufen werden, sodass eine ständig aktuelle "Mustersammlung" zur Verfügung steht.
1. Anwendungsbereich des WpÜG
a) Angebotsarten
Rz. 252
§ 2 Abs. 1 WpÜG regelt öffentliche Kauf- oder Tauschangebote zum Erwerb von Wertpapieren einer Zielgesellschaft. Dabei ist zwischen drei verschiedenen Arten von Angeboten zu unterscheiden:
▪ |
Angebote zum Erwerb von Wertpapieren, häufig auch als Erwerbsangebot bezeichnet, |
▪ |
Übernahmeangebote und |
▪ |
Pflichtangebote. |
Übernahmeangebote sind gem. § 29 Abs. 1 WpÜG Angebote, die auf den Erwerb der Kontrolle gerichtet sind. Die Kontrolle erlangt nach § 29 Abs. 2 WpÜG, wer mindestens 30 % der Stimmrechte an der Zielgesellschaft hält. Hält der Bieter bereits 30 % oder mehr der Stimmrechte und gibt dann ein Angebot zum Erwerb aller Stimmrechte ab, handelt es sich nicht um ein Übernahmeangebot gem. § 29 WpÜG. Die 30 %-Schwelle orientiert sich an Regelungen in anderen europäischen Staaten und trägt darüber hinaus den (geringen) Präsenzen in deutschen Hauptversammlungen Rechnung.
Hinweis
Es gibt keinen europaweit einheitlichen Begriff der Kontrolle, da sich der prozentuale Anteil der Stimmrechte, der eine Kontrolle begründet, und die Art der Berechnung dieses Anteils gem. Art. 5 Abs. 3 der Übernahmerichtlinie nach dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaats richtet.
Rz. 253
Wer die Kontrolle in anderer Weise als durch ein Übernahmeangebot erlangt (z.B. durch einen Paketerwerb) muss ein Pflichtangebot abgeben. Durch das Pflichtangebot wird den Minderheitsaktionären der Zielgesellschaft ermöglicht, ihre Beteiligung an dem Unternehmen zu einem gesetzlichen Mindestpreis zu veräußern.
Rz. 254
Alle sonstigen Angebote, die die Kontrollschwelle nicht tangieren (z.B. ein Angebot zum Erwerb einer Beteiligung von weniger als 30 % oder ein Aufstockungsangebot bei einer bereits bestehenden Beteiligung von mindestens 30 %), sind (einfache) Erwerbsangebote.
Auf den Rückerwerb eigener Aktien ist das WpÜG nicht anwendbar.
b) Internationaler Anwendungsbereich
aa) Ausländische Gesellschaft mit inländischer Börsennotierung
Rz. 255
Das WpÜG findet neben der AG und der KGaA mit Sitz im Inland auch auf Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) Anwendung. Sie sind in die Definition des Begriffs "Zielgesellschaft" einbezogen, sofern die Wertpapiere der betreffenden Gesellschaft zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind.