Rz. 610
Als Maßstab für die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes ist zunächst davon auszugehen, dass der Geschäftsführer nach § 15b InsO grds. verpflichtet ist, nach Eintritt der Insolvenzreife der GmbH Masseschmälerungen zugunsten einzelner Gläubiger zu verhindern. Erlaubt sind nach § 15b Abs. 1 Satz 2 (entspricht § 64 Satz 2 GmbHG a.F.) nur Zahlungen, die der Sorgfalt des ordentlichen Geschäftsmannes entsprechen. Dies können also – in der Praxis nicht relevante – quotale Befriedigungen der Gläubiger sein, wodurch eine bevorzugte Befriedigung einzelner Gläubiger verhindert wird.
Rz. 611
Mit der Sorgfalt des ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar können auch solche Zahlungen sein, die im Interesse der Masseerhaltung notwendig sind oder durch die größere Nachteile für die Insolvenzmasse abgewendet werden sollen. Zahlungen etwa, durch die eine sofortige Betriebseinstellung verhindert wurde und ohne die jede Sanierungschance oder Fortführung des Unternehmens im Insolvenzverfahren vereitelt worden wäre, können mit der Sorgfalt des ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar sein, z.B. Zahlungen für Wasser- oder Energielieferungen. Erforderlich ist dabei, dass ohne die Zahlung eine konkrete Aussicht auf Sanierung und Fortführung im Insolvenzverfahren zunichte gemacht und noch größere Nachteile für die Insolvenzmasse vermieden werden. Es können also Zahlungen sein, die in der Absicht geleistet werden, den Betrieb im Interesse einer ernstlich erwarteten Sanierung oder für eine ernstlich zu erwartende spätere Veräußerung im Insolvenzverfahren aufrecht zu erhalten und die somit geeignet sind, größere Nachteile für die Masse durch sofortigen Zusammenbruch des Geschäftsbetriebes zu vermeiden. Hierzu muss ein tragfähiges Sanierungskonzept vorliegen und der Geschäftsführer muss sich über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft genau Klarheit verschaffen, bevor er aufwendige Sanierungsbemühungen beauftragt und honoriert. Die bloße Sanierungsabsicht genügt nicht.
Rz. 612
Der Geschäftsführer ist nach § 15b InsO grds. verpflichtet, Masseschmälerungen zu verhindern. Er darf aber – zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes für die Zwecke des Insolvenzverfahrens – nach § 15b Abs. 1 Satz 2 InsO bestimmte Leistungen noch erbringen. Dies können u.U. Zahlungen sein, die die Erfüllung von für die Gesellschaft vorteilhaften zweiseitigen Verträgen betreffen und die auch von einem gedachten Insolvenzverwalter (vgl. § 103 InsO) erfüllt würden, oder Zahlungen, die der Abwendung höherer Schäden aus einer sofortigen Betriebseinstellung dienen, da auch nach Eintritt der Insolvenz – aber vor einer Insolvenzverfahrenseröffnung – der Geschäfts- und Zahlungsverkehr aufrechterhalten werden muss und einer Entscheidung des Insolvenzverwalters oder eines nach § 22 InsO eingesetzten vorläufigen Insolvenzverwalters nicht vorgegriffen und dessen Entscheidungsspielraum nicht eingeschränkt werden soll. Unbedenklich können insoweit Zahlungen sein, die zur reduzierten Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes unabweisbar sind, etwa Kosten für Miete, Energie, Kommunikationstechnik. Zu beachten ist aber, dass solche Zahlungen nicht zwangsläufig zur Abwendung eines noch größeren Schadens für die Gläubiger erforderlich sind.
Rz. 613
Da es aber ebenfalls zur Sorgfalt des Geschäftsführers als ordentlichem Kaufmann gehört, rechtzeitig nach Maßgabe des § 15a Abs. 1 InsO den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen, können aus diesem Grund der Vorgreiflichkeit nur solche Zahlungen als nicht ersatzpflichtig nach § 64 GmbHG a.F. eingestuft werden, die seitens der Gesellschaft auch bei rechtzeitiger Stellung des Insolvenzantrages noch geleistet worden wären; dafür wiederum ist entscheidend, wann ein voraussichtlich eingesetzter Insolvenzverwalter insb. die Beendigung von Dauerschuldverhältnissen hätte bewirken können.
Im Rahmen der Unternehmenssanierung hat der Geschäftsführer, der weiß, dass die materielle Insolvenz der Gesellschaft nur durch ein tragfähiges Sanierungskonzept überwunden werden kann, dafür Sorge zu tragen, dass das Gesellschaftsvermögen für den Fall gesichert wird, dass die Sanierungsbemühungen fehlschlagen. Der Sorgfalt des ordentlichen Geschäftsmannes entsprechen also nur solche Zahlungen, die zur Aufrechterhaltung der Sanierungschancen unter Beachtung der Pflicht zum Masseerhalt erforderlich sind.
Rz. 614
Die Zahlung der Umsatzsteuer (im Rahmen einer Lieferantenrechnung) ist nicht deshalb mit der Sorgfalt des ordentlichen Geschäftsmannes i.S.d. § 64 Satz 2 GmbHG a.F. vereinbar, weil die Aussicht darauf besteht, dass sie als Vorsteuer wieder gutgebracht wird. Zum Haftungsdilemma wegen Steuerzahlungen s.u. bei Steuerhaftung.
Rz. 615
Hinweis
Generell war die Privilegierung des § 64 Satz 2 GmbHG a.F. restriktiv anzuwenden, denn es gehört genauso zu den Pflichten des Geschäftsführers, nach Eintritt der Insolvenzreife unverzüglich, spätestens aber i...