Rz. 30
Die rechnerische Überschuldung ist anhand eines Überschuldungsstatus zu prüfen. Zum Stichtag (Tag der Vornahme der Prüfung) müssen in den Überschuldungsstatus das gesamte Vermögen sowie die dagegenstehenden Verbindlichkeiten aufgenommen werden. Sinn und Zweck des Überschuldungsstatus ist die Feststellung, ob das Gesellschaftsvermögen ausreicht, alle Gesellschaftsgläubiger zu befriedigen.
Rz. 31
Der Überschuldungsstatus ist nicht gleichzusetzen mit der Handels- oder Steuerbilanz. Ebenso wenig ist der Begriff Überschuldung gleichzusetzen mit Unterbilanz oder Unterkapitalisierung. Die Jahresbilanz hat bei der Überschuldungsprüfung nur indizielle Bedeutung und ist nur Ausgangspunkt für die Ermittlung des wahren Wertes des Gesamtvermögens. Allein die Vorlage der Handelsbilanzen ist nicht geeignet, eine Überschuldung i.S.d. § 19 Abs. 1 InsO darzutun. Legt der Insolvenzverwalter zur Darlegung der Überschuldung nur eine Handelsbilanz vor, die einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag ausweist, muss er zusätzlich erläutern, ob und ggf. in welchem Umfang stille Reserven oder sonstige nicht bilanzierte Vermögenswerte vorhanden sind. Allerdings ist das Vorliegen einer Überschuldung i.S.d. § 19 InsO regelmäßig durch eine handelsbilanzrechtliche Überschuldung indiziert, also durch eine Handelsbilanz, die einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag ausweist. Spätestens dann obliegt es dem Geschäftsführer, die Überschuldung zu prüfen und in diesem Rahmen eine Überschuldungsbilanz bzw. einen Überschuldungsstatus zu erstellen und regelmäßig fortzuschreiben.
Rz. 32
Bei der Erstellung des Überschuldungsstatus sind zwei Problemkreise zu lösen:
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Welche Positionen sind in den Überschuldungsstatus einzustellen? |
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Welche Werte sind im Überschuldungsstatus anzusetzen? |
Rz. 33
Übersicht 2: Ausgewählte Positionen im Überschuldungsstatus
Aktivseite
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Die Aktivierung von Gründungs- und Entwicklungskosten etc. hat zu unterbleiben (arg. e. § 248 Abs. 1 Nr. 1 HGB); jedenfalls, wenn Liquidationswerte anzusetzen sind. |
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Firmenwert, Goodwill: Bei konservativer Betrachtungsweise hat der eigene Firmenwert außer Ansatz zu bleiben; etwas anderes kann ausnahmsweise nur dann in Betracht kommen, wenn dem Firmenwert bei einer gedachten und aktuell möglichen Veräußerung des Unternehmens ein gesonderter Wert zukommt. |
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Sonstige immaterielle Vermögenswerte, zu denen auch der Goodwill einer Tochtergesellschaft gehört, Markenrechte, Konzessionen, Patente (auch selbst geschaffene) sind zu aktivieren, sofern selbstständig verwertbar. |
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Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, Halb- und Fertigerzeugnisse sind mit den tatsächlichen Werten anzusetzen, d.h. mit den Werten, die tatsächlich bei einer aktuellen Veräußerung erzielbar wären. |
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Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sind mit realisierbaren Werten unter Berücksichtigung einer Ausfallquote bzw. konkreter Ausfallrisiken anzusetzen. Eine bestrittene Forderung, die erst gerichtlich durchgesetzt werden muss, darf nicht aktiviert werden. |
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Ausstehende Einlagen von Gesellschaftern und Ansprüche auf evtl. beschlossene oder in der Satzung geregelte Ansprüche auf Nachschüsse sind zu aktivieren (häufiges Problem: Werthaltigkeit, daher häufig Ansatz nicht zu Nominalwerten, sondern nur i.H.d. Werthaltigkeit). |
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Ansprüche auf Rückzahlung zurückgezahlter Einlagen (etwa nach §§ 30, 31 GmbHG) sind zu aktivieren; häufiges Problem ist die Werthaltigkeit, daher häufig Ansatz nicht zu Nominalwerten, sondern nur i.H.d. Werthaltigkeit. |
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Verlustausgleichsansprüche, etwa bei Unternehmensverträgen i.S.d. § 291 AktG aus § 302 AktG, oder aus sonstigen verbindlichen Zusagen, z.B. Liquiditätsausstattungsgarantien sind zu aktivieren, wenn und soweit sie werthaltig sind. Jüngst hat dies das OLG Schleswig auch für Verlustausgleichsansprüche ohne wirksamen Unternehmensvertrag bei Vorliegen lediglich eines qualifiziert faktischen Konzerns angenommen. Das halte ich für fraglich, da der BGH die Rechtskonstruktion des qualifiziert faktischen Konzerns aufgegeben hat (s.u. bei existenzvernichtendem Eingriff unter Rdn 324 ff.). |
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statuarische oder sonstige Finanzierungszusagen des Gesellschafters, die – etwa bei Bestehen einer positiven Fortführungsprognose – auch für den Insolvenzfall gelten (prüfen!), sind zu aktivieren. |
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Freistellungsansprüche ggü. Dritten sind zu aktivieren, wenn und soweit sie werthaltig sind. |
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Harte Patronatserklärungen, die der Patron ggü. dem Schuldner abgegeben hat (sog. interne Patronatserklärungen [s.u. Rdn 124 ff.]), sind zu aktivieren, wenn und soweit sie werthaltig sind. |
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Vertragliche Freistellungsvereinbarungen (etwa von Gesellschaftern), durch die die Schuldnergesellschaft auch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens von der Verbindlichkeit freigehalten wird, der Freistellende also in Vorlage treten wird. Gegenüber diesem Freistellungsanspruch ist jedoch grds. der Erstattungsanspruch des Freistellenden zu passivieren, es sei denn, dass für di... |