a) Funktion der Prognose
Rz. 34
Die Fortführungsprognose hat zwei Funktionen: Zum einen ist sie Maßstab für den Wertansatz der Vermögenswerte (Fortführungswerte bei positiver Prognose, andernfalls Zerschlagungswerte) im Überschuldungsstatus, zum anderen ist das Fehlen einer positiven Fortführungsprognose zweites Tatbestandsmerkmal der Überschuldung. M.a.W. liegt trotz rechnerischer Vermögensunzulänglichkeit eine Überschuldung der Gesellschaft i.S.d. § 19 Abs. 2 InsO nicht vor, wenn eine positive Fortführungsprognose besteht.
b) Voraussetzungen und Anforderungen an eine positive Prognose
aa) Zahlungsfähigkeit und Fortführungswille
Rz. 35
Selbstverständlich muss das Unternehmen im Prognosezeitpunkt zahlungsfähig sein oder die Zahlungsfähigkeit muss innerhalb der 3-Wochen-Frist des § 15a Abs. 1 InsO wiederhergestellt sein. Darüber hinaus darf der Schuldner während des Prognosezeitraums (s.u. Rdn 43) nicht zahlungsfähig werden.
Ferner ist für eine positive Prognose subjektiv der Fortführungswille des Schuldners bzw. der Geschäftsführung erforderlich. Bei Gesellschaften ist erforderlich, dass die Geschäftsführung anhand objektiver Anhaltspunkte zumindest davon ausgehen darf, dass die Gesellschafter des Schuldners trotz der eingetretenen Krise das Unternehmen / die Gesellschaft fortführen wollen.
Eine positive Fortführungsprognose kann auch eine positive Liquidationsprognose sein, wenn die – etwa von den Gesellschaftern beschlossene – Liquidationsplanung zeigt, dass die (fälligen) Verbindlichkeiten bis zum Abschluss der Liquidation bezahlt werden können.
bb) Prognosegegenstand
Rz. 36
Die Anforderungen an eine positive Fortführungsprognose i.S.d. § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO sind folgende:
Nach der Begründung des RegE des FMStG liegt eine positive Prognose vor, wenn das Unternehmen den Turnaround nach wenigen Monaten schafft bzw. nach überwiegender Wahrscheinlichkeit seine Finanzkraft für die mittelfristige Fortführung ausreicht. Dies könnte auf eine Liquiditäts- und damit eine bloße Zahlungsfähigkeitsprognose hinauslaufen. Die Ertragsfähigkeit des Unternehmens i.S. einer gesicherten Innenfinanzierung sei kein selbstständiger und notwendiger Gegenstand der positiven Fortführungsprognose, sondern nur ein, wenn auch wichtiger, Faktor zur Prognose der Zahlungsfähigkeit des Unternehmens. Danach könnte auch ein ertragsloses Unternehmens positiv prognostiziert werden, wenn nur die Zuführung von Liquidität von außen, etwa durch die Gesellschafter gesichert ist. Diese Situation kommt nicht selten bei Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge in der Rechtsform einer juristischen Person des Privatrechts vor. Sie werden mitunter von ihren öffentlich-rechtlichen Gesellschaftern aufrechterhalten, obwohl sie dauerhaft defizitär sind.
Rz. 37
Nach der Rspr. des BGH setzt eine positive Fortführungsprognose in objektiver Hinsicht die Lebensfähigkeit des Unternehmens voraus, die aus einem "aussagekräftigen Unternehmenskonzept (sog. Ertrags- und Finanzplan)" herleitbar sein muss. Dabei muss dem schlüssigen und realiserbaren Unternehmenskonzept grds. ein Ertrags- und Finanzplan zugrunde liegen, aus dem sich ergibt, dass die Finanzkraft der Gesellschaft mittelfristig zur Fortführung des Unternehmens ausreicht. Danach ist die Fortführungsprognose im Kern Zahlungsfähigkeitsprognose, die einer nachvollziehbaren Vermögens-, Finanz- und Ertragsplanung bedarf.
Rz. 38
Dies führt dazu, dass die zur Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit erforderliche Liquidität im Prognosezeitraum nicht notwendigerweise aus der eigenen Ertragskraft der Gesellschaft kommen muss, sondern grds. auch von Dritten (Fremdkapitalgeber, Gesellschafter, etc.) zur Verfügung gestellt werden kann. Dann aber müssen folgende strenge Voraussetzungen erfüllt sein:
Grds. können Liquiditätszuflüsse von Dritten in der Zahlungsfähigkeitsprognose nur berücksichtigt werden, wenn eine verbindliche Verpflichtung des Dritten und seine ausreichende Bonität bestehen.
In jüngerer Zeit wird in der Rspr. jedoch vermehrt diskutiert, ob in Einzelfällen ausnahmsweise eine Zahlungsfähigkeitsprognose auch auf mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erwartete Zahlungszuflüsse gestützt werden kann, zu denen eine verbindliche Verpflichtung des Leistenden nicht besteht. Hier ist in erster Linie die Entscheidung des BGH im Fall der Insolvenz der Fluggesellschaft Air Berlin zu nennen, in der der BGH die – freilich sehr engen – Grenzen für eine solche Annahme aus einer weichen Patronatserklärung ("Comfort Letter") aufzeigt (und im konkreten Fall nicht angenommen hat).
Für den Sonderfall der Start-Up-Unternehmen sind nach OLG Düsseldorf die Grundsätze des BGH für eine positive Fortführungsprognose nicht uneingeschränkt anwendbar; vielmehr müssten die Besonderheiten derar...