Rz. 262
Für die Geschäftsführer und ebenso die Liquidatoren jeglicher haftungsbeschränkter Gesellschaften ist die Verletzung der Pflicht zur Stellung des Insolvenzantrages strafbar. Die Insolvenzantragspflicht ist verletzt, wenn der Geschäftsführer nach Eintritt der Insolvenzreife (Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung) der Gesellschaft den Insolvenzantrag nicht, nicht rechtzeitig oder nicht richtigstellt. Für den Vorwurf der Insolvenzverschleppung hat das Strafgericht zu prüfen, ob neben einer festgestellten Zahlungsunfähigkeit auch Überschuldung vorgelegen hat (gerichtliche Kognitionspflicht).
Rz. 263
Zur strafrechtlichen Entlastung wurde früher die bloße Antragstellung als ausreichend angesehen, Gläubiger- und Schuldnerverzeichnis mussten nicht bereits beigefügt sein. Dies dürfte nicht mehr gelten, da nach der Neuregelung in § 15a Abs. 4 InsO der Antrag nicht nur rechtzeitig, sondern auch "richtig" gestellt sein muss. Also stellt sich auch zur Beurteilung der Strafbarkeit der Insolvenzverschleppung die Frage nach den Anforderungen an einen "richtigen" Insolvenzantrag als ein wesentliches Problem dar, das in der Lit. diskutiert wird und, soweit ersichtlich, in der Rspr. noch nicht entschieden ist. Ich gehe davon aus, dass der Antrag mindestens zulässig sein muss (Verständnis "richtig" = zulässig). Dafür ist mindestens erforderlich, dass er schriftlich eingereicht wird (§ 13 Abs. 1 Satz 1 InsO) und ausreichend begründet ist. Ob der Geschäftsführer seiner Insolvenzantragspflicht durch Antragstellung vor einem Gericht eines anderen Mitgliedsstaates der EU genügt, dürfte nach der Neuregelung in § 15a Abs. 4 InsO (Antrag nicht "richtig" gestellt) fraglich, nach meinem Dafürhalten zu verneinen sein. Neben der Zuständigkeit des Gerichts ist für einen zulässigen Insolvenzantrag ist mindestens erforderlich, dass er schriftlich eingereicht (§ 13 Abs. 1 Satz 1 InsO) und ausreichend begründet wird.
Rz. 264
Zu beachten ist, dass durch das ESUG die Anforderungen an einen Eigeninsolvenzantrag nach § 13 Abs. 1 Satz 3 InsO für den Fall noch erheblich erhöht wurden, dass der Schuldner einen Geschäftsbetrieb hat. In der Rspr. wird herauszuarbeiten sein, ob ein Geschäftsführer, der zwar rechtzeitig beim zuständigen Gericht den Insolvenzantrag stellt, aber die zusätzlichen formalen Anforderungen an den Insolvenzantrag nicht oder erst verspätet erfüllt, Insolvenzverschleppung begeht, weil er den Antrag "nicht richtig" gestellt hat. Inwieweit auch die Anforderungen nach § 13 Abs. 1 Satz 3–6 InsO zum strafrechtlich "richtigen" Antrag gehören, ist m.E. zweifelhaft. Ausgehend davon, dass zum richtigen Antrag alle Angaben gehören, die das Gericht in die Lage versetzen, umgehend die erforderlichen Maßnahmen zugunsten der Massesicherung zu ergreifen, dürften jedenfalls die Verzeichnisse nach § 13 Abs. 1 Satz 3 InsO dazugehören. Auch für das Fehlen der Vollständigkeitserklärung nach § 13 Abs. 1 Satz 7 InsO dürfte gelten, dass die Strafbarkeit nur in Betracht kommt, wenn das Fehlen die Entscheidung über die Eröffnung verhindert oder erheblich erschwert.
Für die Beratungspraxis würde ich vorsorglich davon ausgehen, dass die Anforderungen an einen das Dauerdelikt der Insolvenzverschleppung beendenden Insolvenzantrag erheblich gestiegen sind (zusätzlich vorzulegende Verzeichnisse, etc.)
Rz. 265
Tauglicher Täter der Insolvenzverschleppung ist auch der faktische Geschäftsführer, obwohl er nach h.M. eigentlich formal gar nicht insolvenzantragsberechtigt ist.
Rz. 266
Ein Gläubigerantrag befreit nicht von der eigenen Insolvenzantragspflicht des Geschäftsführers einer haftungsbeschränkten Gesellschaft.
Zum Strafklageverbrauch einer rechtskräftigen Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung auch bei anschließender Fortsetzung der Gesellschaft s. OLG München, ZInsO 2013, 736.
I.Ü. sei zum Tatbestand der Insolvenzverschleppung auf die Ausführungen zur Geschäftsführerhaftung verwiesen.
Rz. 267
Praxishinweis
Verteidigungsansätze liegen mitunter in der nicht zutreffenden Ermittlung der Insolvenzantragsgründe Überschuldung bzw. Zahlungsunfähigkeit und damit zusammenhängend des Zeitpunktes des Eintritts der Insolvenzreife.
Im Hinblick auf z.B. § 6 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a GmbHG kann ein weiterer Verteidigungsansatz darin liegen, eine Verurteilung nur wegen der Fahrlässigkeitstat "auszuhandeln", da diese nicht zur 5-jährigen Amtsunfähigkeit des Geschäftsführers führt.