Rz. 36
Die Anforderungen an eine positive Fortführungsprognose i.S.d. § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO sind folgende:
Nach der Begründung des RegE des FMStG liegt eine positive Prognose vor, wenn das Unternehmen den Turnaround nach wenigen Monaten schafft bzw. nach überwiegender Wahrscheinlichkeit seine Finanzkraft für die mittelfristige Fortführung ausreicht. Dies könnte auf eine Liquiditäts- und damit eine bloße Zahlungsfähigkeitsprognose hinauslaufen. Die Ertragsfähigkeit des Unternehmens i.S. einer gesicherten Innenfinanzierung sei kein selbstständiger und notwendiger Gegenstand der positiven Fortführungsprognose, sondern nur ein, wenn auch wichtiger, Faktor zur Prognose der Zahlungsfähigkeit des Unternehmens. Danach könnte auch ein ertragsloses Unternehmens positiv prognostiziert werden, wenn nur die Zuführung von Liquidität von außen, etwa durch die Gesellschafter gesichert ist. Diese Situation kommt nicht selten bei Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge in der Rechtsform einer juristischen Person des Privatrechts vor. Sie werden mitunter von ihren öffentlich-rechtlichen Gesellschaftern aufrechterhalten, obwohl sie dauerhaft defizitär sind.
Rz. 37
Nach der Rspr. des BGH setzt eine positive Fortführungsprognose in objektiver Hinsicht die Lebensfähigkeit des Unternehmens voraus, die aus einem "aussagekräftigen Unternehmenskonzept (sog. Ertrags- und Finanzplan)" herleitbar sein muss. Dabei muss dem schlüssigen und realiserbaren Unternehmenskonzept grds. ein Ertrags- und Finanzplan zugrunde liegen, aus dem sich ergibt, dass die Finanzkraft der Gesellschaft mittelfristig zur Fortführung des Unternehmens ausreicht. Danach ist die Fortführungsprognose im Kern Zahlungsfähigkeitsprognose, die einer nachvollziehbaren Vermögens-, Finanz- und Ertragsplanung bedarf.
Rz. 38
Dies führt dazu, dass die zur Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit erforderliche Liquidität im Prognosezeitraum nicht notwendigerweise aus der eigenen Ertragskraft der Gesellschaft kommen muss, sondern grds. auch von Dritten (Fremdkapitalgeber, Gesellschafter, etc.) zur Verfügung gestellt werden kann. Dann aber müssen folgende strenge Voraussetzungen erfüllt sein:
Grds. können Liquiditätszuflüsse von Dritten in der Zahlungsfähigkeitsprognose nur berücksichtigt werden, wenn eine verbindliche Verpflichtung des Dritten und seine ausreichende Bonität bestehen.
In jüngerer Zeit wird in der Rspr. jedoch vermehrt diskutiert, ob in Einzelfällen ausnahmsweise eine Zahlungsfähigkeitsprognose auch auf mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erwartete Zahlungszuflüsse gestützt werden kann, zu denen eine verbindliche Verpflichtung des Leistenden nicht besteht. Hier ist in erster Linie die Entscheidung des BGH im Fall der Insolvenz der Fluggesellschaft Air Berlin zu nennen, in der der BGH die – freilich sehr engen – Grenzen für eine solche Annahme aus einer weichen Patronatserklärung ("Comfort Letter") aufzeigt (und im konkreten Fall nicht angenommen hat).
Für den Sonderfall der Start-Up-Unternehmen sind nach OLG Düsseldorf die Grundsätze des BGH für eine positive Fortführungsprognose nicht uneingeschränkt anwendbar; vielmehr müssten die Besonderheiten derartiger Unternehmen berücksichtigt werden. Für die Annahme der überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Fortführung des Unternehmens unter Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit reiche auch eine nicht rechtsverbindliche Zusage des finanzkräftigen Investors, der in der Vergangenheit die Gründung bereits mit erheblichen Mitteln finanziert hat, auch künftig weitere Finanzmittel auf der Grundlage einer nachvollziehbaren Planung und des nachgewiesenen Finanzbedarfs zur Verfügung zu stellen, aus, wenn sich aus einer nachvollziehbaren und realistischen Finanz- und Ergebnisplanung eine erfolgversprechende Marktentwicklung ergibt und sich daraus "irgendwann" die Ertragsfähigkeit des Unternehmens erwarten lässt und nicht konkret wahrscheinlich ist, dass der Finanzier das Start-Up-Unternehmen nicht weiterfinanzieren wird; ein klagbarer Anspruch auf die Finanzierungsbeiträge sei nicht erforderlich.
Rz. 39
Sofern für die positive Prognose Liquiditätszuführungen aus einem Cash-Pool herangezogen werden, sind einerseits die konkrete Ausgestaltung der Cash-Pooling Vereinbarung, insbes. evtl. Kündigungsrechte der Cash-Pool Führerin / Muttergesellschaft zu prüfen und andererseits ist für die Beurteilung eine konzernweite Liquiditätsbetrachtung/ -planung erforderlich, also die Beurteilung, ob der Cash-Pool für den Liquiditätsbedarf aller teilnehmender Unternehmen ausreicht.
Rz. 40
In die Prognose sind auch Sanierungsbemühungen und ihre Auswirkungen einzubeziehen. Eine positive Prognose kann aber nicht auf einseitige Sanierungsbemühungen und ein einseitiges Sanierungskonzept gestützt werden, wenn der Erfolg vom Einverständnis der Gläubiger abhängt und diese die Zustimmung verweigern. Diese Grundsätze gelten auch für den neuen (alten) Überschuldungsbegriff in § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO nach FMStG...