Rz. 370
Ob auch Ausschüttungen von Gewinnvorträgen oder vom Gesellschafter gebildeten freien Gewinnrücklagen Zahlungen auf Forderungen sind, die der Forderung auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen gleichgestellt sind, hatte der BGH zunächst offengelassen und wurde in der obergerichtlichen Rspr. unterschiedlich entschieden und war in der Lit. streitig. Teilweise wurde dies bejaht, weil es keinen Unterschied machen könne, ob die Gesellschafter sich den Gewinn erst auszahlen lassen und dann der Gesellschaft als Darlehen wieder zur Verfügung stellen oder ob sie den Gewinn sogleich als Gewinnrücklage oder Gewinnvortrag in die Bilanz einstellen. Werde ein Gewinn allerdings verzögert ausgeschüttet, weil sich die Gesellschafter über die Gewinnverwendung zunächst nicht einig waren, handele es sich nicht um eine nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbare Darlehensrückzahlung. Teilweise wurde es verneint, weil mangels Ausschüttungsbeschlusses zunächst kein Auszahlungsanspruch bestand, der einem Gesellschafterdarlehen vergleichbar sein könnte.
Rz. 371
Die grds. Einordnung von Gewinnrücklage oder -vortrag als dem Gesellschafterdarlehen gleichgestellte Forderung wird in der Lit., soweit ersichtlich überwiegend und m.E. zu Recht bezweifelt, weil es sich bei Gewinnrücklage oder -vortrag bereits bilanziell nicht um Darlehen (= Fremdkapital), sondern um Eigenkapital handelt. Anders als die Darlehensgewährung gewähren Gewinnrücklage oder -vortrag dem Gesellschafter keinen Rückzahlungsanspruch, dessen Geltendmachung seiner eigenen Entscheidung unterliegt; eine Gewinnrücklage muss vor einer Auszahlung erst durch Gesellschafterbeschluss aufgelöst werden, ein Gewinnvortrag kann erst mit der Feststellung der folgenden Bilanz und Beschlussfassung über die Verwendung des Ergebnisses ausgezahlt werden (sofern er nicht durch einen Jahresfehlbetrag aufgezehrt wurde).
Rz. 372
Für eine GmbH & Co.KG hatte das OLG Schleswig entschieden, dass Entnahmen des Kommanditisten aus dem Vermögen der Gesellschaft keine Darlehensrückzahlung i.S.d. § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist, wenn die Entnahmen vom Kapitalkonto gedeckt sind und das dortige Guthaben eine Beteiligung des Kommanditisten am Eigenkapital der Gesellschaft ausweist; dann nämlich handele es sich nicht um eine Forderung gegen die Gesellschaft. Hingegen ist die Entnahme von Guthaben auf einem Kapitalkonto des Kommanditisten wie die Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens anfechtbar, wenn die Auslegung des Gesellschaftsvertrags ergibt, dass das Guthaben keine Beteiligung des Kommanditisten, sondern eine schuldrechtliche Forderung ausweist.
Ein zusätzliches Argument dafür, dass der "stehen gelassene" Gewinn nicht vergleichbar ist mit einem Gesellschafterdarlehen könnte sein: in der Insolvenz kann auf den Gewinn eine Auszahlung nur als Überschussauskehr nach § 199 Satz 2 InsO erfolgen, während ein Gesellschafterdarlehen nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO als nachrangige Forderung zu bedienen wäre. Die Umqualifizierung würde also eine Rangverbesserung bewirken, die sicherlich nicht beabsichtigt ist.
Rz. 373
Nun hat der BGH die Frage für die spätere Auszahlung eines Gewinnvortrags an einen Alleingesellschafter einer GmbH entschieden: Beschließt der Alleingesellschafter einer GmbH, einen festgestellten Gewinn auf neue Rechnung vorzutragen, kann der aus einem später gefassten, auf Ausschüttung des Gewinnvortrags gerichteten Gewinnverwendungsbeschluss folgende Zahlungsanspruch eine wirtschaftlich einem Darlehen entsprechende Forderung i.S.d. §§ 135 Abs. 1 Nr. 2, 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO darstellen. Zur Begründung hat der BGH ausgeführt, dass es sich bei der zunächst vom Gesellschafter getroffenen Entscheidung, den Gewinn nicht auszuschütten, sondern auf neue Rechnung vorzutragen, um eine der Darlehensgewährung vergleichbare Finanzierungsentscheidung handelt. Eine Behandlung als wirtschaftlich einem Darlehen entsprechende Forderung scheidet aber aus, wenn bereits zum Zeitpunkt des ersten, auf einen Vortrag des Gewinns auf neue Rechnung gerichteten Gesellschafterbeschlusses eine Gewinnausschüttung nach § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG nicht vorgenommen werden durfte, weil und soweit die Auszahlung zu diesem Zeitpunkt eine Unterbilanz herbeigeführt oder vertieft hätte.