Rz. 719

Grds. besteht bei Vorhandensein liquider Mittel im Zeitpunkt der Fälligkeit die Verpflichtung des Geschäftsführers zur Abführung der Lohnsteuer solange, bis ihm die Verfügungsbefugnis durch Bestellung eines starken vorläufigen Verwalters oder die Insolvenzeröffnung entzogen wird.[1434] Fraglich konnte sein, ob eine persönliche Haftung des Geschäftsführers für die nicht gezahlte (Lohn-)Steuer entsteht, wenn sie im Insolvenzeröffnungsverfahren mit vorläufiger Insolvenzverwaltung mit Zustimmungsvorbehalt nicht abgeführt wird oder wenn der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt eine noch im Wege der Lastschrift im Einzugsermächtigungsverfahren erfolgte Lohnsteuerzahlung durch Widerruf vom Finanzamt zurückholt. Nach der ständigen Rspr. des BFH wurde der Geschäftsführer auch während des Insolvenzeröffnungsverfahrens mit einem vorläufigen Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt aus seiner Pflichtenstellung nicht verdrängt, sondern hatte selbst weiterhin dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln der Gesellschaft (hier: GmbH) entrichtet wurden.[1435] Der pauschale Hinweis oder gar die Annahme des Geschäftsführers, dass der vorläufige Verwalter die Steuerzahlung nicht genehmigt hätte, reichte zur Entlastung des Geschäftsführers nicht, weil hypothetische Kausalverläufe nicht zu berücksichtigen sind.[1436] Vielmehr musste der Geschäftsführer darlegen, dass und wie er die Steuerzahlung vornehmen bzw. die Genehmigung des vorläufigen Verwalters einholen wollte.[1437] Nur bei eindeutigen objektiven Anhaltspunkten für die Sinnlosigkeit einer solchen Anfrage kann auf diese verzichtet werden.[1438] Das hielt ich zwar für etwas praxisfremd, dem Geschäftsführer musste aber entsprechend zur Veranlassung bzw. Anfrage geraten werden.

 

Rz. 720

Hier hat sich mit Wirkung ab 1.1.2021 eine wesentliche Änderung der Rechtslage durch das SanInsFoG ergeben. Nach § 15b Abs. 8 InsO liegt eine Verletzung steuerrechtlicher Zahlungspflichten nicht vor, wenn zwischen dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung und der Entscheidung des Insolvenzgerichts über den Insolvenzantrag Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt werden, sofern die Antragspflichtigen ihrer Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO nachkommen. Sollte der Insolvenzantrag nach § 15a InsO verspätet gestellt worden sein, gilt dies nur für die nach Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters oder Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung fällig werdenden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis. Sollte das Insolvenzverfahren wegen der Verletzung der Insolvenzantragspflicht nicht eröffnet werden, gelten die vorstehenden Regelungen nicht.

 

Rz. 721

Nach Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters oder Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung ist die Nichtabführung der Steuern also i.d.R. keine Pflichtverletzung (mehr), entfällt folgerichtig auch die Haftung des Geschäftsführers.

[1435] Zuletzt BFH, 26.9.2017 – VII R 40/16, ZIP 2018, 22 = GmbHR 2018, 221.
[1436] BGH, ZIP 2018, 22; BGH, ZIP 2020, 911.
[1437] BGH, ZIP 2018, 22; BGH, ZIP 2020, 911.
[1438] BGH, ZIP 2020, 911.

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