Rz. 866
Noch nicht abschließend geklärt ist, ob und ggf. in welchem Umfang den Geschäftsführer des vorläufig eigenverwaltenden Schuldners die Haftungen wegen verbotener Zahlungen nach § 15b InsO treffen können. Relevant wird die Frage, wenn der Schuldner nicht nur drohend zahlungsunfähig ist, sondern etwa das sog. Schutzschirmverfahren im Stadium der Überschuldung der Gesellschaft führt.
Sofern der Insolvenzantrag nach § 15a InsO rechtzeitig gestellt wurde, dürfte das Problem nach der Neuregelung in § 15b Abs. 2 Satz 3 InsO nicht mehr bestehen, denn die Zahlungen unter den dortigen Voraussetzungen gelten als mit der Sorgfalt des ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar. Wurde der Insolvenzantrag aber verspätet gestellt, gilt dies nach § 15b Abs. 3 InsO nicht.
Für § 15b InsO wird – durchaus im Einklang mit der Begründung zum RegE des SanInsFoG – vertreten, dass die den Schutz der Insolvenzmasse betreffenden Normen der früheren § 64 GmbHG, §§ 93 Abs. 2 u. 3 Nr. 6, 92 Abs. 2 AktG jeweils a,F., heute § 15b InsO, nicht eingreifen, weil es dieses zusätzlichen Schutzes neben §§ 60 ff. InsO nicht bedürfe bzw. diese Norm durch den Vorrang des § 276a Abs. 2 u. 3 InsO verdrängt werde. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Haftung nach § 15b InsO eine Insolvenzverschleppungshaftung ist. Mit der rechtzeigen Einleitung des Insolvenzverfahrens mit (vorläufiger) Eigenverwaltung wird die Insolvenz jedoch gerade nicht verschleppt. M.E. besteht nach der BGH-Entscheidung zur Haftung des eigenverwaltenden Geschäftsführers nach §§ 60, 61 InsO für eine gesonderte Haftung wegen verbotener Zahlungen weder Raum noch Bedürfnis.
Rz. 867
Selbst wenn man also im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren eine Haftung des Geschäftsführers nach § 15b InsO für denkbar hält, ist m.E. zumindest eine teleologische Reduktion geboten. Nach der gesetzlichen Konstruktion ist das vorläufige Eigenverwaltungsverfahren einschl. Schutzschirmverfahren (noch) im Stadium der Überschuldung statthaft. Zur Betriebsfortführung sind regelmäßig sowohl Verbindlichkeiten zu begründen als auch Zahlungen zu leisten. Müssten diese dann im eröffneten Verfahren nach § 15b Abs. 1 u. 4 InsO vom Geschäftsführer persönlich zurückgezahlt werden, käme das Verfahren zumindest für haftungsbeschränkte Gesellschaften nicht in Frage. Dieser gesetzliche Widerspruch kann durch teleologische Reduktion vermieden werden. Jedenfalls sollten die dem Insolvenzzweck dienenden Zahlungen als mit der Sorgfalt des ordentlichen Geschäftsmannes i.S.d. § 15b Abs. 1 Satz 2 InsO vereinbar anzusehen sein.
Zur Haftungsentlastung erscheint außerdem denkbar, dass entsprechend dem Rechtsgedanken des § 270b Abs. 3 Satz 3 InsO die Haftung nach § 15b InsO ausgeschlossen sein könnte, wenn ein vorläufiger Gläubigerausschuss einstimmig der Fortführung des Geschäftsbetriebes zugestimmt hat. Voraussetzungen dafür dürften sein, dass der vorläufige Gläubigerausschuss repräsentativ besetzt ist und dass keine Informationsdefizite bestanden. Letztere können durch eine belastbare Liquiditätsplanung ausgeschlossen werden.
Rz. 868
Zur Haftungsentlastung erscheint außerdem denkbar, dass entsprechend dem Rechtsgedanken des § 270b Abs. 3 Satz 2 InsO die Haftung nach § 15b InsO ausgeschlossen sein könnte, wenn ein vorläufiger Gläubigerausschuss einstimmig der Fortführung des Geschäftsbetriebes zugestimmt hat. Voraussetzungen dafür dürften sein, dass der vorläufige Gläubigerausschuss repräsentativ besetzt ist und dass keine Informationsdefizite bestanden. Letztere können durch eine belastbare Liquiditätsplanung ausgeschlossen werden.
Rz. 869
Befriedigt der Schuldner mit Befugnis zur Begründung von Masseverbindlichkeiten Verbindlichkeiten im Eröffnungsverfahren, die nach Verfahrenseröffnung Masseverbindlichkeiten wären, so scheidet eine Haftung m.E. aus, weil es an einer Gläubigerbenachteiligung/Masseschmälerung fehlt. Solange Rspr. zur Frage der Haftung nach § 15b InsO im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren noch fehlt, sollte dem Geschäftsführer im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren also geraten werden, sich die Begründung von Masseverbindlichkeiten vom Insolvenzgericht gestatten zu lassen.
Rz. 870
Da aber Rspr. zu dieser Frage noch nicht vorliegt und die Grundsatzentscheidung des BGH zur Haftung des Eigenverwalters nach §§ 60, 61 InsO hierzu keine explizite Aussagen enthält, ist aus Sicht des Geschäftsführers "aus Vorsichtsgründen" zu befürchten, dass die Regelungen des § 15b InsO im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren grds. eingreifen können, weil sie gerade den Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfassen und eine formale Bereichsausnahme für die vorläufige Eigenverwaltung nach §§ 270a, 270d InsO nirgends statuiert ist. Somit dürfte von der Einleitung des vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens, insbesondere des sog. Schutzschirmverfahrens bei eingetretener Überschuldung der Gesellschaft abzuraten sein.