Rz. 722

Zur früheren Rechtslage ergab sich für den Geschäftsführer ein Haftungsdilemma:[1439] Zahlte er die Steuern nicht, konnte sich die Haftung nach §§ 34, 69 AO ergeben; zahlte er, konnte er nach § 64 GmbHG a.F. ersatzpflichtig werden.[1440] Dieses Dilemma hatten der BGH in seiner Entscheidung v. 14.5.2007[1441] und der BFH Ende des Jahres 2008[1442] dahingehend aufgelöst, dass der organschaftliche Vertreter, der bei Insolvenzreife der Gesellschaft den sozial- und steuerrechtlichen Normbefehlen folgend Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung und Lohnsteuer abführt, mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes handelte und nicht nach § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. erstattungspflichtig wurde. Zur Begründung wurde m.E. zutreffend die Einheit der Rechtsordnung herangezogen. Kritisiert wurden diese Entscheidungen mit der Begründung, sie privilegierten die Sozialkassen und den Fiskus unter den Insolvenzgläubigern nach § 38 InsO.[1443] Damit waren auch während Insolvenzantragszeitrums Zeitraums die Lohnsteuer und die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung abzuführen, weil sonst persönliche Haftung für den Geschäftsführer drohte.

 

Achtung! Wesentliche Änderung durch das SanInsFoG: § 15b Abs. 8 InsO

Die vorstehend dargestellte Privilegierung des Fiskus hat der Gesetzgeber nunmehr teilweise beseitigt. Nach § 15b Abs. 8 InsO liegt eine Verletzung steuerrechtlicher Zahlungspflichten nicht vor, wenn zwischen dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung und der Entscheidung des Insolvenzgerichts über den Insolvenzantrag Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt werden, sofern die Antragspflichtigen ihrer Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO nachkommen. Sollte der Insolvenzantrag nach § 15a InsO verspätet gestellt werden, gilt dies nur für die nach Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters oder Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung fällig werdenden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis. Sollte das Insolvenzverfahren wegen der Verletzung der Insolvenzantragspflicht nicht eröffnet werden, gelten die vorstehenden Regelungen nicht.

Damit ist das vorstehend beschriebene Haftungsdilemma zumindest für den die Insolvenzantragspflicht befolgenden Geschäftsführer gegenüber der vorstehend beschriebenen früheren Auflösung durch die BGH- und BFH-Rspr. aus den Jahren 2007 und 2008 genau entgegengesetzt aufgelöst: Bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung (und jedenfalls für den Zeitraum vorläufiger Insolvenzverwaltung oder vorläufiger Eigenverwaltung) entfällt der steuerrechtliche Normbefehl, so dass eine Zahlung mit der Sorgfalt des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführers i.S.d. § 15b Abs. 1 Satz 2 InsO nicht vereinbar, sondern in einem späteren Insolvenzverfahren nach § 15b Abs. 4 InsO vom Geschäftsführer zu erstatten wäre.

Praxishinweis: Im Gegensatz zur früheren Rechtslage ist dem Geschäftsführer seit dem 1.1.2021 also zu raten, in den Karenzzeiträumen für den Insolvenzantrag nach § 15a Abs. 1 Satz 2 InsO die Steuern nicht zu zahlen, denn die Zahlungen könnten unter das Zahlungsverbot nach § 15b Abs. 1 InsO mit der Folge der persönlichen Rückzahlungsverpflichtung des Geschäftsführers nach § 15b Abs. 4 InsO fallen. Zu beachten ist allerdings, dass dies nur gilt, sofern der Geschäftsführer seiner Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO nachkommt bzw. das Insolvenzverfahren nicht wegen verspäteten Insolvenzantrags nicht eröffnet wird. Davon muss sich der Berater für bei Erteilung seines Rats überzeugen.

[1439] Zum Haftungsdilemma für den Geschäftsführer s. Bauer, KKZ 2008, 49 ff.; s.a. Tiedtke/Peterek, GmbHR 2008, 617 ff.
[1440] FG Köln, ZIP 2006, 471 und FG Düsseldorf, ZIP 2006, 1447: Volle Haftung des GmbH-Geschäftsführers für nicht abgeführte Lohnsteuer auch bei Kollision mit Pflichten aus § 64 Abs. 2 GmbHG. A.A. zumindest für den 3-Wochen-Zeitraum des § 64 Abs. 1 GmbHG: Schumann, GmbHR 2005, 1292 ff.
[1441] ZInsO 2007, 660. So bereits Bauer, ZInsO 2004, 645 ff.
[1443] Schuhmann, GmbHR 2008, 418 ff.

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge