Rz. 604
Die Ersatzhaftung nach § 15b InsO (sowie der Vorgängervorschriften) setzt Verschulden des Geschäftsleiters voraus. Bei Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife wird das Verschulden des Geschäftsführers vermutet. Einfache Fahrlässigkeit genügt. Maßstab ist die Sorgfalt des ordentlichen Geschäftsmanns; auf individuelle Fähigkeiten oder etwa mangelnde Sachkenntnis des Geschäftsführers kommt es nicht an. Ebenso scheidet ein Rückgriff auf die Grundsätze innerbetrieblicher Haftungsfreistellung von Arbeitnehmern bei leichter Fahrlässigkeit aus.
aa) Erkennbarkeit der Insolvenzreife
Rz. 605
Für das Verschulden des Geschäftsführers ist erforderlich, dass er die Insolvenzreife kennt oder fahrlässig nicht kennt. Es genügt also Erkennbarkeit der Insolvenzantragsvoraussetzungen. Die Erkennbarkeit der Insolvenzreife kann sich auch aus Kenntnis von Tatsachen ergeben, die der Geschäftsführer aus anderen Quellen als in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer erlangt hat (bspw. als Geschäftsführer der Muttergesellschaft). Bei objektivem Eintritt der Insolvenzreife wird die Erkennbarkeit für den Geschäftsführer widerleglich vermutet. Böswillige Unkenntnis der Überschuldung begründet die Haftung ebenfalls. Auf fehlende Kenntnis kann sich der Geschäftsführer nicht berufen, wenn er seiner Beobachtungspflicht nicht nachgekommen ist, also etwa entgegen § 49 Abs. 3 GmbHG die Gesellschafterversammlung nicht einberufen hat oder bei handelsbilanzieller Überschuldung einen Überschuldungsstatus nicht erstellt und fortgeschrieben hat. Der Geschäftsführer einer GmbH muss für eine Organisation sorgen, die ihm die zur Wahrnehmung seiner Pflichten erforderliche Übersicht über die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft jederzeit ermöglicht. Dies gilt besonders bei ersten Krisenanzeichen.
Fazit
Für Zahlungen während objektiv bestehender Insolvenzreife der Gesellschaft werden sowohl die Erkennbarkeit der Insolvenzreife als auch das Verschulden des Geschäftsführers vermutet.
bb) Ressortaufteilung
Rz. 606
Geschäfts- bzw. Ressortaufteilungen und interne Zuständigkeitsregelungen unter mehreren Geschäftsführern können grds. zu einer Beschränkung der straf- und zivilrechtlichen Verantwortlichkeit führen. Es ist jedoch zu beachten, dass die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften, hier die Erfüllung der Pflichten aus § 15b InsO sowie der Insolvenzantragspflicht allen Geschäftsführern persönlich obliegt und nicht delegiert werden kann. Eine Ressortaufteilung entbindet grds. nicht von der Verantwortung für die ordnungsgemäße Führung der Geschäfte der Gesellschaft. Gerade im Hinblick auf die Pflichten nach § 15b InsO bestehen besonders weitgehende Kontroll- und Überwachungspflichten gegenüber Mitgeschäftsführern. Will ein Mitgeschäftsführer geltend machen, dass ihn an den Verfehlungen gegen § 15b InsO wegen der Ressortaufteilung kein Verschulden trifft, insbesondere weil er die Insolvenzreife nicht hat erkennen können, so ist eine klare und eindeutige, von allen Mitgliedern des Organs getragene, nicht notwendigerweise schriftlich dokumentierte Aufgabenzuweisung erforderlich, die die vollständige Wahrnehmung der Geschäftsführungsaufgaben durch hierfür fachlich und persönlich geeignete Personen sicherstellt und ungeachtet der Ressortzuständigkeit eines einzelnen Geschäftsführers die Zuständigkeit des Gesamtorgans für nicht delegierbare Aufgaben wahrt.
Hinweis
Dies vorausgeschickt kann es für den Mitgeschäftsführer ausnahmsweise an der Erkennbarkeit der Insolvenzreife fehlen, wenn der für die Überwachung des laufenden Geschäftsverkehrs zuständige Geschäftsführer seinen Informationspflichten nicht nachkommt, etwa weil er die notwendigen Informationen schon selbst nicht hat, und dem sich ordnungsgemäß um Kontrolle bemühenden Mitgeschäftsführer bewusst Informationen vorenthält.
cc) Hinzuziehung von Beratern
Rz. 607
Der Geschäftsführer kann sich auch nicht auf fachliche Unkenntnis in steuer- oder handelsrechtlichen Dingen berufen; vielmehr muss er sich diese bei Übernahme des Geschäftsführeramtes in eigener Person verschaffen. Dies gilt auch, soweit der Geschäftsführer Rat durch einen Steuerberater oder Rechtsanwalt einholt; diesen muss er sorgfältig auswählen und überwachen und den erteilten Rat auf Plausibilität überprüfen können.
Rz. 608
Die Befolgung von...