aa) Verschleppungshaftung für Arbeitnehmerlohn
Rz. 684
Hier werden zwei Rechtsfragen bislang unterschiedlich beurteilt: welcher Rechtsweg ist eröffnet (ordentliche oder Arbeitsgerichtsbarkeit?) und sind Arbeitnehmer wegen der Lohnansprüche nach Beginn der Insolvenzverschleppung Alt- oder Neugläubiger?
(1) Rechtsweg
Rz. 685
Zum eröffneten Rechtsweg liegt bisher nur uneinheitliche Rspr. vor:
Rz. 686
Das OLG Hamburg hat für die Schadensersatzklage den Weg zu den ordentlichen Gerichten als eröffnet angesehen. Das ist m.E. zutreffend, da es sich um die Geltendmachung eines allgemeinen Schadensersatzanspruchs aus unerlaubter Handlung handelt.
Rz. 687
Nach der arbeitsgerichtlichen Rspr. ist für Schadensersatzklagen des Arbeitnehmers der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten gegeben, weil eine Streitigkeit nach § 2 Abs. 1 Nr. 3d ArbGG vorliege. Das halte ich nicht für richtig, weil die Streitigkeit nicht zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber besteht: der in Anspruch genommene Geschäftsführer der GmbH ist nicht der Arbeitgeber.
(2) Alt- oder Neugläubiger?
Rz. 688
Ob Arbeitnehmer wegen rückständigen Arbeitnehmerlohns für Zeiträume nach Beginn der Insolvenzverschleppung Alt- oder Neugläubiger sind, wird bislang unterschiedlich entschieden.
Das OLG Hamburg hat entschieden, dass die Arbeitnehmer auch wegen nach Eintritt der Insolvenzreife entstandener Einzelansprüche als Alt- und nicht als Neugläubiger zu behandeln sind, wenn, wie regelmäßig, das Arbeitsverhältnis vor Eintritt der Insolvenzreife begründet worden ist.
Rz. 689
Nach dem LAG Hamm können Arbeitnehmer wegen ihrer Lohn- und Gehaltsansprüche sowohl Alt- als auch Neugläubiger sein, je nachdem, ob die rückständige Lohnforderung vor oder nach Beginn der Insolvenzverschleppung entstanden ist. Auch das LAG Hessen geht davon aus, dass Arbeitnehmer Neugläubiger sein können.
(3) Umfang des Schadens
Rz. 690
Der Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers richtet sich allerdings nur auf den Ersatz des Vertrauensschadens und nicht des Erfüllungsschadens, also nicht auf Ersatz der vollen Nettovergütung und auch nicht auf Ersatz nach § 628 Abs. 2 BGB. Ein Neugläubigeranspruch des Arbeitnehmers auf Schadensersatz i.H.d. Arbeitsentgelts besteht nur, wenn der Arbeitnehmer nachweisen kann, dass er bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung mit seiner Arbeitskraft sofort hätte anderweitig den Lohn verdienen können.
Rz. 691
Jedenfalls sind Ansprüche der Arbeitnehmer nicht gegeben, soweit sie Insolvenzgeld erhalten. Eine Klage gegen den Geschäftsführer ist nicht möglich vor einer Entscheidung der Arbeitsverwaltung über das Insolvenzgeld. Der Anspruch auf Schadensersatz geht nach Zahlung des Insolvenzgeldes auf die Bundesagentur für Arbeit über. Zuständig für die klageweise Geltendmachung des übergegangenen Schadensersatzanspruchs sind die Zivilgerichte.
Rz. 692
Eine Insolvenzverschleppungshaftung des Geschäftsführers für Ansprüche auf Entgeltfortzahlung nach § EFZG gibt es nicht. Auch besteht keine "automatische" Sachverwalterhaftung der Organe der Gesellschaft, wenn verhandelte Abfindungen wegen Insolvenz der Gesellschaft nicht mehr zur Auszahlung gelangen.
bb) Verschleppungshaftung für gezahltes Insolvenzgeld
Rz. 693
Der BGH hat entschieden, dass der Geschäftsführer wegen Insolvenzverschleppung ggü. der Bundesagentur für Arbeit für gezahltes Insolvenzgeld nicht nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. (heute § 15a Abs. 1 InsO) auf Schadensersatz haftet, weil es sich beim Insolvenzgeld nach §§ 165 ff. SGB III um ein gesetzliches Schuldverhältnis handelt, für das § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. der Insolvenzantragspflicht nicht gilt und die Bundesagentur nicht in den Schutzzweck der Normen (fehlender Schutzzweckzusammenhang) einbezogen sei. Eine Haftung des Geschäftsführers kommt jedoch aus § 826 BGB in Betracht.
Rz. 694
Voraussetzung für einen grds. möglichen Schadensersatzanspruch ist selbstverständlich, dass der Bundesagentur durch die Insolvenzverschleppung ein Schaden entstanden ist. Dafür muss die geschädigte Bundesagentur für Arbeit – jedenfalls nach dem erheblichen Einwand des beklagten Geschäftsführers, Insolvenzgeld hätte auch bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung in derselben Höhe gezahlt werden müssen – darlegen und ggf. beweisen, dass die Zahlung von Insolvenzgeld bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung vermieden worden wäre oder sie einen werthaltigen Regressanspruch gegen die Masse erworben hätte. Beweiserleichterungen stehen ihr nicht zur Verfügung. Erforderlich ist also die Darlegung, dass die Pflicht zur Zahlung von Insolvenzgeld gerade deshalb entstanden ist, weil der Geschäftsführer seine Insolvenzantragspflicht verletzt hat.