1. Ersatzpflicht für verbotene Zahlungen an Gläubiger der Gesellschaft (§ 15b InsO)
a) Allgemeines, Rechtscharakter der Norm
Rz. 569
Nach § 64 Satz 1 u. 2 GmbHG, §§ 92 Abs. 2, 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG, §§ 130a Abs. 1 u. 2, 177a HGB, § 99 GenG jeweils a.F. bestand für Geschäftsleiter aller haftungsbeschränkter Gesellschaften die Pflicht gegenüber der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Feststellung der Überschuldung geleistet wurden, sofern die Zahlungen nicht der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters entsprachen. Durch Art. 5 SanInsFoG wurden diese bisher in den genannten Gesellschaftsgesetzen geregelten sog. Zahlungsverbote und die Anordnung der entsprechenden Ersatzpflicht mit Wirkung ab 1.1.2021 in dem neuen § 15b InsO zusammengefasst; die vorgenannten Regelungen in den Gesellschaftsgesetzen wurden durch Art. 14 – 17 SanInsFoG aufgehoben bzw. angepasst (§ 177a HBG). Hierdurch wurden die inhaltlich zusammengehörenden, durch das MoMiG getrennten Regelungen zur Insolvenzantragspflicht (§ 15a InsO) und der Ersatzpflicht der sog. verbotenen Zahlungen wieder zusammengeführt, und zwar nunmehr in der InsO.
Rz. 570
§ 15b Abs. 1 InsO regelt die Zahlungsverbote und die Ausnahme hiervon, sofern die Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind, und entspricht damit im Wesentlichen den bisherigen Regelungen in den die einzelnen Gesellschaften betreffenden Gesetzen. Die Regelungen in § 15b Abs. 2–8 InsO enthalten jedoch z.T. gravierende Änderungen gegenüber den früheren gesellschaftsrechtlichen Regelungen. In den folgenden Erläuterungen werden daher sowohl die Rspr. zu den Vorgängervorschiften, soweit sie fortgelten dürfte, als auch die Änderungen durch § 15b InsO unter besonderer Hervorhebung erörtert.
Sinn und Zweck der Vorgängervorschriften war nach ständiger Rspr. des BGH, die verteilungsfähige Vermögensmasse der insolvenzreifen Gesellschaft im Interesse der Gläubigergesamtheit zu erhalten und eine zu ihrem Nachteil gehende bevorzugte Befriedigung einzelner Gläubiger zu verhindern. Auch § 15b InsO verfolgt diesen Zweck.
Rz. 571
Im Unterschied zur Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff. InsO ist Voraussetzung für das Entstehen des Erstattungsanspruchs nicht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft, sondern lediglich deren Insolvenzreife. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft hat nur Bedeutung für die Durchsetzung des Anspruchs: dann nämlich durch den Insolvenzverwalter. Das erlangt z.B. Bedeutung, wenn der Insolvenzantrag mangels Masse abgewiesen oder das Insolvenzverfahren nach Bestätigung eines Insolvenzplans aufgehoben wurde. Außerhalb eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft ist der Anspruch der Gesellschaft für deren Gläubiger pfändbar.
Rz. 572
Nach ständiger Rspr. des BGH war der Rechtscharakter der Vorgängernormen eine eigenständige Anspruchsgrundlage der Gesellschaft, ein Ersatzanspruch eigener Art (sui generis) und kein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Gesellschaft, mithin kein Schadensersatzanspruch. Zweck sei in erster Linie, im Interesse einer Gleichbehandlung der Gläubiger eine Schmälerung der Masse nach Eintritt der Insolvenzreife zu verhindern bzw. wieder auszugleichen. Ob sich durch die neue Regelung in § 15b Abs. 4 Satz 2 InsO, nach der die Ersatzpflicht des Geschäftsführers auf einen der Gläubigerschaft entstandenen geringeren "Schaden" begrenzt ist, der Rechtscharakter geändert hat, wird in der Lit. diskutiert (s.u. Rdn 621).
Rz. 573
Dass es sich bei § 64 GmbHG a.F. um eine insolvenzrechtliche Vorschrift handelte, die somit in inländischen Insolvenzverfahren über das Vermögen haftungsbeschränkter Auslandsgesellschaften auch auf deren Geschäftsführer anwendbar war, hatten nach Vorlage durch den BGH der EuGH und in der Folge der BGH für den director einer britischen private company limited by shares ("Limited") entschieden und dürfte nun durch die Verortung in der InsO zweifelsfrei sein.
Praxishinweis
Nach meiner Beobachtung war die Haftung nach § 64 GmbHG a.F. und den Parallelvorschriften für die Geschäftsleiter die größte, wirtschaftlich bedeutendste Gefahr, der sie sich bei Fortführung des Geschäftsbetriebes in der Krise der Gesellschaft aussetzten, da Insolvenzanträge über das Vermögen insbes. von GmbH’en und GmbH & Co.KG‘en häufig zu spät gestellt werden und so sehr häufig der zum nachträglichen Ersatz verpflichtende Tatbestand von Zahlungsveranlassungen im Stadium der materiellen Insolvenzreife erfüllt ist. Auch wenn § 15b InsO ggü. den Vorgängervorschriften gewisse Entlastungsregelungen enthält, dürfte das Haftungsrisiko nach wie vor sehr hoch sein. Dies gilt umso mehr, als die Entlastungswirkungen der Neuregelung noch nicht ausgeurteilt sind und daher streitig diskutiert werden.
Rz. 574
Im Insolvenzverfahren über das Vermögen der haftungsbeschränkten Gesellschaft wird der Insolvenzverwalter in Wahrnehmung seiner Aufgaben regelmäßig Ansprüche gegen ...