Rz. 80
Beschränkt sich die unterlegene Partei auf ein innerhalb der Rechtsmittelfrist eingereichtes – "isoliertes" – Prozesskostenhilfegesuch (oder bringt sie ein solches neben einer unzulässigen Berufung an), so wahrt dieses zwar weder die Berufungs- noch die Berufungsbegründungsfrist. Der Partei kann aber, wenn sie dies innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist beantragt und die versäumte Prozesshandlung nachholt (§§ 234 Abs. 1 S. 1, 236 Abs. 1 und 2 S. 1 und 2 Hs. 1 ZPO) oder zumindest letztere vornimmt (§ 236 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 ZPO), Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sein (§ 233 ZPO). Voraussetzung hierfür ist zunächst, dass die Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, die (Not-)Frist zur Einlegung der Berufung (§ 517 ZPO) und/oder die Frist zur Begründung der Berufung (§ 520 Abs. 2 ZPO) einzuhalten (§ 233 S. 1 ZPO); ohne Verschulden bedeutet das Fehlen von Vorsatz oder Fahrlässigkeit (§ 276 BGB).
Rz. 81
Das auf Bedürftigkeit beruhende Unterbleiben einer Prozesshandlung schließt ein Verschulden an der Fristversäumung grundsätzlich aus: Wer die Kosten eines Rechtsmittels nicht aufbringen kann – insbesondere sich wegen seiner Mittellosigkeit außerstande sieht, einen Rechtsanwalt mit der Einlegung oder Begründung des Rechtsmittels zu beauftragen –, darf wie ein anderer die Frist für die Einlegung oder Begründung des Rechtsmittels bis zum letzten Tag ausnutzen, er darf also noch am letzten Tag der Frist die Entscheidung treffen, ob er das Rechtsmittel einlegen will, und braucht erst dann – den allerdings vollständigen (siehe unten Rdn 86 ff.) – Antrag auf Prozesskostenhilfe einzureichen. Ein Rechtsmittelführer, der innerhalb der Rechtsmittel- oder (bei rechtzeitiger Einlegung) der Rechtsmittelbegründungsfrist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt und alles in seinen Kräften Stehende getan hat, damit über diesen Antrag ohne Verzögerung entschieden werden kann, ist bis zur Entscheidung über den Antrag so lange als ohne sein Verschulden an der Einlegung oder Begründung des Rechtmittels verhindert anzusehen, als er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen muss.
Rz. 82
Davon, ob der bedürftige Antragsteller mit einer Bejahung der Erfolgsaussicht seines beabsichtigten Rechtsmittels rechnen konnte, hängt die Wiedereinsetzung mit Rücksicht auf das verfassungsrechtliche Gebot der prozessualen Chancengleichheit von bemittelten und mittellosen Parteien jedoch grundsätzlich nicht ab. Anders kann es liegen, wenn sich das Berufungsgericht – etwa im Rahmen einer Entscheidung nach § 78b ZPO – bereits mit der Erfolgsaussicht des beabsichtigten Rechtsmittels befasst hat. Auf den Verfahrensverlauf im ersten Rechtszug kommt es dagegen nicht an; die Partei muss daher nicht schon dann mit einer Ablehnung ihres Antrags rechnen, wenn das Berufungsgericht im Rahmen der sofortigen Beschwerde gegen die erstinstanzliche Ablehnung von Prozesskostenhilfe einen für sie nachteiligen Rechtsstandpunkt vertreten hat.
Rz. 83
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach einer Entscheidung über die beantragte Prozesskostenhilfe kommt jedoch nur in Betracht, wenn die Mittellosigkeit für die Fristversäumung kausal geworden ist: Ob die Versäumung der Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist auf der Mittellosigkeit der Partei beruht, hängt davon ab, ob ein Rechtsanwalt bereit war, das Rechtsmittel auch ohne Bewilligung von Prozesskostenhilfe einzulegen und/oder zu begründen. Mit der bloßen Stellung und Begründung eines Prozesskostenhilfeantrags erbringt ein Rechtsanwalt die im zweiten Rechtszug anfallenden, vergütungspflichtigen Leistungen noch nicht und bringt auch nicht seine Bereitschaft zum Ausdruck, das Rechtsmittel auch ohne Bewilligung von Prozesskostenhilfe einlegen und begründen zu wollen. Ist die bedürftige Partei dagegen bereits anwaltlich vertreten und legt ihr Rechtsanwalt uneingeschränkt Berufung ein, muss sie glaubhaft machen, dass der Anwalt nicht bereit war, die wirksam eingelegte Berufung im Weiteren ohne Bewilligung von Prozesskostenhilfe ordnungsgemäß und insbesondere fristgemäß zu begründen; hohe Anforderungen werden insoweit aber regelmäßig nicht gestellt.
Rz. 84
Holt die Partei die Prozesshandlung zwar vor der Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch, aber nach Ablauf der dafür vorgesehenen Frist nach, so ist – solange sich aus den konkreten Umständen nichts Gegenteiliges ergibt – davon auszugehen, dass die Mittellosigkeit für die zunächst unterlassene Prozesshandlung und sodann für ihre Verspätung ursächlich geworden ist, wobei es einer Darlegung der Gründe, weshalb das Rechtsmittel nicht schon vor Ablauf der Frist unabhängig von der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe eingelegt oder begründet werden konnte, nicht bedarf. Auch ein fristgerechter Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist trägt regelmäßig nicht die Annahme, der Pr...