Leonie Lehrmann, Walter Krug
Rz. 69
In den Fällen des § 2287 BGB kann eine Parallele zu § 2330 BGB gezogen und angenommen werden. Ein Missbrauch sei dann zu verneinen, wenn die Schenkung einer sittlichen Pflicht entsprochen hat, zumal das Gesetz an verschiedenen Stellen Schenkungen, die einer sittlichen Pflicht entsprechen, bevorzugt behandelt: §§ 534, 814, 1375 Abs. 2 Nr. 1, 1425 Abs. 2, 2113 Abs. 2, 2205, 2207 BGB.
Rz. 70
Unterschieden wird zwischen Anstands- und Pflichtschenkungen. Anstandsschenkungen sind in aller Regel nur kleinere Zuwendungen wie Gelegenheitsgeschenke zu Geburtstagen, Weihnachten und ähnlichem. Obwohl sich Anstandsgeschenke grundsätzlich durch ihren geringen Wert auszeichnen, unterfallen im Einzelfall auch hochwertige Zuwendungen dieser Kategorie. Dies kann der Fall sein, wenn werthaltige Geschenke den Ansichten und Gepflogenheiten sozial gleichgestellter Kreise wie demjenigen des Erblassers entsprechen. So entschied das OLG Düsseldorf, auch die Schenkung einer Motoryacht als Hochzeitsgeschenk könne dem Anstand entsprechen. Demgegenüber sind Pflichtschenkungen generell hinsichtlich größerer Werte denkbar. Eine solche Zuwendung liegt vor, wenn die Schenkung geboten ist und ihr Unterlassen dem Erblasser als Verletzung einer für ihn bestehenden sittlichen Pflicht zur Last zu legen wäre.
Rz. 71
Orientierungshilfe für den Einzelfall bietet die bislang ergangene Rechtsprechung, wonach die folgenden Konstellationen unter den Begriff "sittliche Pflicht" fallen:
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Übereignung des halben Familienwohnhauses an unversorgte Ehefrau nach langjähriger unbezahlter Mitarbeit im Geschäft, OLG Karlsruhe OLGZ 90, 456; |
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Sicherung des Lebensunterhalts für den Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, BGH NJW 1983, 674; |
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Unterhaltszahlungen für nahe Verwandte; |
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Übereignung einer Wohnung im gemeinsam bewohnten Haus an den Sohn, weil dieser dringend auf psychische und finanzielle Unterstützung angewiesen ist; |
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auch Zuwendung eines Grundstücks für unbezahlte langjährige Dienste im Haushalt oder für unentgeltliche Pflege und Versorgung, trotzdem ist im Einzelfall eine Abwägung vorzunehmen. Bei dieser Abwägung ist zu berücksichtigen, dass in den Fällen des § 2330 BGB lediglich eine allgemeine gesetzliche Pflicht des Erblassers gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten besteht, während im Rahmen des § 2287 BGB die über eine gesetzliche Pflicht hinausgehende besondere vertragliche Bindung gegenüber dem Vertragserben eingegangen wurde. |
Rz. 72
Die Beweislast für Schenkung, Beeinträchtigung – objektiv und subjektiv – und für den Missbrauch trägt derjenige, der Rechte aus § 2287 BGB herleiten will.