Entscheidungsstichwort (Thema)
Auskunft. Pflichtteil
Leitsatz (redaktionell)
1. Der auf § 2314 Abs. 1 Satz 2 BGB gegründete Wertermittlungsanspruch (im Gegensatz zum reinen Auskunftsanspruch nach § 2314 Abs. 1 Satz 1 BGB) setzt dort, wo im Hinblick auf § 2325 BGB Pflichtteilsergänzung verlangt wird, die Feststellung voraus, daß der geschenkte Gegenstand im konkreten Fall der Pflichtteilsergänzung unterliegt, also zum „fiktiven” Nachlaß gehört.
2. Bei der Wertung, die vorzunehmen ist, um den Rechtsbegriff „sittliche Pflicht” in diesem Sinne auszufüllen, reicht es nicht aus festzustellen, daß die Schenkung im Rahmen des sittlich noch zu Rechtfertigenden geblieben ist, etwa daß der Schenker nach den Geboten der Sittlichkeit aus Nächstenliebe dem Beschenkten hilft (vgl. BGH, NJW 1986, 1926). Entscheidend ist vielmehr, ob die Vornahme der in Rede stehenden Schenkung nach den festgestellten Umständen in einer solchen Weise sittlich geboten war, daß umgekehrt das Unterlassen der Schenkung dem Erblasser als Verletzung der für ihn bestehenden sittlichen Pflicht zur Last zu legen wäre.
3. Die Anwendbarkeit des § 2330 BGB ist bereits dann zu verneinen, wenn ein Erblasser seine sittlichen Pflichten nicht verletzt hätte, wenn er den fraglichen Gegenstand nicht geschenkt hätte.
Normenkette
BGB §§ 2314, 2325, 2330
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Urteil vom 24.04.1989; Aktenzeichen 3 O 291/88) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 24. April 1989 – 3 O 291/88 – im Kostenpunkt aufgehoben und im übrigen wie folgt abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, Auskunft über den Wert des im Grundbuch von P. unter der Lagebuch-Nr. 4661/3 eingetragenen Grundstücks A. G. Weg 91, P. durch Vorlage eines Wertschätzungsgutachtens eines vereidigten Sachverständigen zu erteilen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten beider Rechtszüge.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Der Wert der Beschwer der Beklagten wird auf 15.000,– DM festgesetzt.
Tatbestand
Die Kläger sind die Söhne aus erster Ehe des am 18. Juni 1987 verstorbenen Erblassers Wilhelm Immanuel H. Letzterer war seit 1950 mit der aus Österreich stammenden Beklagten in zweiter Ehe verheiratet und hatte mit ihr zwei weitere Kinder. Im Jahre 1973 hat der Erblasser der Beklagten ein ihm gehörendes Wohngrundstück in P. A. G. Weg 91 schenkweise übertragen, wobei er sich ein lebenslängliches Nießbrauchrecht hat gewähren lassen.
Die Beklagte ist Alleinerbin des Erblassers. Die Kläger machen ihren Pflichtteilsanspruch geltend. Sie sind der Ansicht, im Hinblick auf die genannte Grundstücksschenkung seitens des Erblassers an die Beklagte stehe ihnen ein Pflichtteilsergänzungsanspruch zu. Im vorliegenden Rechtsstreit verlangen sie von der Beklagten Auskunft über den Wert des ihr geschenkten Grundstücks durch Vorlage eines Sachverständigengutachtens. Die Beklagte ist der Ansicht, zu einer derartigen Auskunftserteilung nicht verpflichtet zu sein, da die Voraussetzungen für eine Pflichtteilsergänzung hinsichtlich des streitigen Grundstücks nicht gegeben seien; die Schenkung habe nämlich einer sittlichen Pflicht des Erblassers entsprochen.
Von der Darstellung des weiteren Sach- und Streitstandes erster Instanz wird abgesehen (§ 543 Abs. 1 ZPO); insoweit wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Kläger haben Berufung eingelegt, die sie im wesentlichen wie folgt begründen:
Eine Pflichtschenkung im Sinne des § 2330 BGB, die allein dem Auskunftsbegehren der Kläger entgegenstehen könne, sei entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht gegeben. Zwar habe die Beklagte nach ihrer Eheschließung lange Zeit im Gewerbebetrieb des Erblassers, einer Gärtnerei, mitgearbeitet, wie dies unter Ehegatten üblich sei; hieraus habe aber unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Falles keine sittliche Pflicht des Erblassers resultiert, ihr einen wesentlichen Teil seines Vermögens, eben das streitige Wohngrundstück, schenkweise zu überlassen und damit den Pflichtteil seiner enterbten Kinder aus erster Ehe auszuhöhlen. Die Beklagte habe seinerzeit in einen gut eingerichteten Betrieb eingeheiratet, während die wirtschaftliche Lage der ersten Ehefrau des Erblassers und ihrer Kinder nach der Scheidung durchaus bedenklich gewesen sei.
Die Kläger beantragen,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, Auskunft über den Wert des im Grundbuch von P. unter der Lagebuch-Nr. 4661/3 eingetragenen Grundstücks A. G. Weg 91, P. durch Vorlage eines Wertschätzungsgutachtens eines vereidigten Sachverständigen zu erteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ein Pflichtteilsergänzungsanspruch der Kläger hinsichtlich des streitigen Grundstücks bestehe nicht. Die Schenkung des Erblassers habe einer sittlichen Pflicht entsprochen. Der Gärtnereibetrieb des Erblassers sei zum Zeitpunkt der Eheschließung mit der Beklagten völlig darnieder gelegen und habe dur...