Leonie Lehrmann, Walter Krug
A. Ansprüche des erbvertraglich eingesetzten Erben gegen den vom Erblasser Beschenkten
I. Typischer Sachverhalt
Rz. 1
In der Praxis kommt es nicht selten zu missbräuchlichen Verfügungen des gebundenen Erblassers. Ist ein Ehepartner vorverstorben, hat der überlebende Ehegatte im Falle der Wiederverheiratung wegen des Hinzutretens eines Pflichtteilsberechtigten (§ 2303 BGB) die Möglichkeit, einen vorhandenen Erbvertrag bzw. ein bindend gewordenes gemeinschaftliches Testament binnen der einjährigen Frist des § 2283 Abs. 1 BGB gem. §§ 2281, 2079 BGB anzufechten. Häufig wird dies jedoch leider vergessen. In der Folge wird versucht, über lebzeitige Verfügungen eine Korrektur des bindenden Erbvertrages bzw. gemeinschaftlichen Testaments vorzunehmen. Daher bildet diese Konstellation einen der Hauptanwendungsfälle des § 2287 BGB. Allerdings ist nicht jede Zuwendung, die der bindenden letztwilligen Verfügung widerspricht, eine solche, die Rückforderungsansprüche auslöst. Hier ist im Einzelfall zu unterscheiden.
Neben dem Fall der Wiederverheiratung sind es die folgenden drei Fallgruppen, bei denen am häufigsten missbräuchliche Verfügungen i.S.v. § 2287 BGB Bereicherungsansprüche der Erbvertrags- bzw. bindend eingesetzten Schlusserben auslösen:
(1) |
Schenkungen an einen Stiefelternteil ("Stiefmutterfälle") |
(2) |
Schenkungen an einen der bindend eingesetzten Mit-Schlusserben |
(3) |
Schenkungen an einen nichtehelichen Lebenspartner. |
II. Schutzzweck des § 2287 BGB
Rz. 2
Der durch Erbvertrag eingesetzte Erbe wird durch § 2287 BGB gegen beeinträchtigende Schenkungen des Erblassers geschützt. Allerdings sind die vorgenommenen Schenkungen wirksam; sie geben dem benachteiligten Erben lediglich nach dem Tode des Erblassers einen Anspruch auf Herausgabe des Geschenks nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung. Damit besteht für den vertragsmäßig Bedachten auch die Gefahr, dass die Bereicherung zwischenzeitlich weggefallen sein könnte, § 818 Abs. 3 BGB.
Rz. 3
Bei § 2287 BGB ist eine Abwägung zwischen den geschützten Interessen des Vertragserben einerseits und der grundsätzlich bestehenden Verfügungsfreiheit des Erblassers unter Lebenden, § 2286 BGB, andererseits vorzunehmen. Eine Feststellungsklage zu Lebzeiten des Erblassers mit dem Ziel festzustellen, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 2287 BGB erfüllt seien, ist unzulässig.
Rz. 4
Zu beachten ist, dass ein Anspruch aus § 2287 Abs. 1 BGB nicht höher sein kann als die durch die Schenkung herbeigeführte objektive Beeinträchtigung der Erberwartung des Vertragserben, selbst dann nicht, wenn der Erblasser eine darüber hinausgehende Beeinträchtigung beabsichtigt haben sollte. Daher kann ein Rückgriff auf § 2287 BGB ausgeschlossen sein, wenn Ausgleichspflichten im Sinne der §§ 2052, 2050 Abs. 3 BGB unter Miterben im Raum stehen (vgl. hierzu Rdn 50).
III. Analoge Anwendung von § 2287 BGB auf das bindend gewordene gemeinschaftliche Testament
Rz. 5
Die Vorschrift des § 2287 BGB findet analoge Anwendung auf die gem. §§ 2270, 2271 Abs. 2 BGB nach dem Tod des erstverstorbenen Ehegatten bindend gewordene Erbeinsetzung des/der Schlusserben in einem gemeinschaftlichen Testament, soweit es wechselbezügliche Verfügungen enthält. Gem. § 2270 Abs. 3 BGB kann Wechselbezüglichkeit nur bezüglich Erbeinsetzung, Vermächtnis- und Auflagenanordnung vorliegen. Die Wechselbezüglichkeit ist für jede einzelne Verfügung gesondert zu ermitteln; maßgebend sind dafür der Wortlaut und der durch Auslegung zu ermittelnde Wille der beiden Testatoren. Erst in letzter Linie, wenn auch die individuelle Auslegung (einschließlich der hypothetischen Auslegung) zu keinem eindeutigen Ergebnis führt, ist die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB heranzuziehen.
Bei gemeinschaftlichen Testamenten, die nach dem ZGB-DDR errichtet worden sind, findet § 2287 BGB keine Anwendung, weil nach DDR-Recht der überlebende Ehegatte keiner Bindung i.S.v. §§ 2270, 2271 Abs. 2 BGB unterlag.
Rz. 6
Bezüglich des Kreises der berechtigten Personen ist jedoch die Änderung der BGH-Rechtsprechung zur gesetzlichen Ersatzerbfolge beim Berliner Testament von Bedeutung:
Die langjährige Rechtsprechung des BGH, dass auch die Auslegungsregel des § 2069 BGB, wonach bei Wegfall eines eingesetzten Abkömmlings im Zweifel dessen Abkömmlinge als Ersatzerben nachrücken, auch von der Wechselbezüglichkeit der ursprünglichen Erbeinsetzung mit umfasst werde, hat dieser in seinem Urt. v. 16.1.2002 aufgegeben:
Der gesetzliche Ersatzerbe gehört demnach nicht zum begünstigten Personenkreis, wohl aber der ausdrücklich eingesetzte Ersatzerbe.