Rz. 13
Die vorstehende allgemeine Regel wird indes durch zahlreiche vorrangige Bestimmungen verdrängt. Für Klagen gegen Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats der Europäischen Union (EU) haben, ergab sich die internationale Zuständigkeit – ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit der Parteien – seit dem 1.3.2002 aus der zum sekundären Gemeinschaftsrecht gehörenden und damit in den Mitgliedstaaten (mit Ausnahme von Dänemark, Art. 1 Abs. 3 EuGVVO a.F.) unmittelbar geltenden Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 (EuGVVO a.F.) über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Art. 2, 3 EuGVVO a.F.).
Rz. 14
Am 12.12.2012 wurde die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, Neufassung (EuGVVO), verkündet, die ab dem 10.1.2015 die EuGVVO a.F. für grenzüberschreitende Sachverhalte ersetzt hat (Art. 80, 81 EuGVVO). Bei den im Unfallhaftpflichtrecht wesentlichen allgemeinen und besonderen Gerichtsständen waren dabei keine Änderungen zu verzeichnen, anders dagegen beim Rechtsschutz für Verbraucher und Arbeitnehmer (Art. 18 Abs. 1, 21 Abs. 2 EuGVVO). In Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen ist ferner eine gerichtliche Hinweispflicht auf die Folgen einer rügelosen Einlassung eingeführt worden (Art. 26 Abs. 2 EuGVVO), siehe dazu unten Rdn 43 f. Weitere Änderungen betrafen die Wirkungen von Gerichtsstandsvereinbarungen (Art. 25 Abs. 1, 29 Abs. 1, 31 Abs. 2 EuGVVO, siehe unten Rdn 46 ff.) sowie die Bestimmungen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen, vor allem die Abschaffung des Exequaturverfahrens. Insbesondere infolge der Aufnahme von Begriffsbestimmungen (Art. 2, 3 EuGVVO) haben sich die nachfolgenden Vorschriften teilweise verschoben; eine hilfreiche Entsprechungstabelle findet sich im Anhang III der EuGVVO. Soweit die beiden Verordnungen inhaltlich übereinstimmen, bleibt die Auslegung der EuGVVO a.F. – und des EuGVÜ (siehe unten Rdn 19) – durch den EuGH für die Neufassung gültig (siehe auch Erwägungsgrund Art. 34 S. 2 EuGVVO).
Rz. 15
Die EuGVVO findet, sofern der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat, auch dann Anwendung, wenn der Kläger aus einem Drittstaat stammt. Hat der Beklagte keinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, so bestimmt sich die Zuständigkeit der Gerichte eines jeden Mitgliedstaats – grundsätzlich – nach dessen eigenen Gesetzen (Art. 6 EuGVVO). Die Wendung "kein Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats" ist allerdings dahin zu verstehen, dass die Anwendung der innerstaatlichen anstelle der einheitlichen Zuständigkeitsvorschriften nur dann zulässig ist, wenn das angerufene Gericht über beweiskräftige Indizien verfügt, die den Schluss zulassen, dass ein beklagter Unionsbürger, der im Mitgliedstaat dieses Gerichts keinen Wohnsitz hat, einen solchen tatsächlich außerhalb des Unionsgebiets hat.
Rz. 16
Zur Vereinbarung der Zuständigkeit durch Parteien aus Drittstaaten siehe unten Rdn 50, 45, 45 und 45. Die Vorschriften der EuGVVO a.F. waren ferner nur auf solche Klagen anzuwenden, die nach deren Inkrafttreten erhoben worden sind (Art. 66 Abs. 1 EuGVVO a.F.; Art. 63 Abs. 1 LugÜ II); dabei kommt es grundsätzlich für die direkte internationale Zuständigkeit (siehe oben Rdn 1, 3, 3 und 3) auf den Beitritt des jeweiligen Mitgliedstaates – d.h. das Inkrafttreten des jeweiligen Beitrittsübereinkommens – an. Die Vorschriften der Neufassung der EuGVVO sind nur auf Verfahren anzuwenden, die am oder nach dem 10.1.2015 eingeleitet worden sind (Art. 66 Abs. 1 EuGVVO); für Staaten, die der EU erst danach beitreten, ist ebenfalls regelmäßig – insbesondere sofern im Beitrittsakt nichts Abweichendes vereinbart wird – der Tag des Beitritts maßgeblich. Für die Bestimmung der "Einleitung" ist – sowohl mit Blick auf den Wortlaut als auch die Systematik (Art. 32 EuGVVO: "Für die Zwecke dieses Abschnitts") – nicht auf den in Art. 32 EuGVVO geregelten Zeitpunkt der "Anrufung" des Gerichts abzustellen, sondern die lex fori (str.). Dass eine Gerichtsstandsvereinbarung vor dem in Art. 66 Abs. 1 EuGVVO bestimmten Zeitpunkt geschlossen wurde, steht der Anwendbarkeit von Art. 25 EuGVVO (Rdn 46 ff.) nicht entgegen.
Rz. 17
Zwischen Dänemark und den übrigen Staaten der EU fand die EuGVVO a.F. aufgrund des Abkommens vom 19.10.2005 mit geringen Modifikationen seit dem 1.7.2007 ebenfalls Anwendung. Da Dänemark am 20.12.2012 mitgeteilt hat, dass es die Neufassung der EuGVVO umsetzen wird (Art. 3 Abs. 2 des Abkommens), findet diese – auf am oder nach dem 10.1.2015 eingeleitete Verfahren (Art. 66 Abs. 1 und 2 EuGVVO; siehe oben Rdn 16) – auch im Verhältnis zu Dänemark Anwendung. Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordi...