Rz. 46
Gerichtsstandsvereinbarungen entfalten auch nach dem Gemeinschaftsrecht (zum nationalen Recht siehe §§ 38, 40 ZPO, dazu auch § 25 Rdn 69, zum – gegebenenfalls vorrangigen – Haager Gerichtsstandsvereinbarungsübereinkommen siehe oben Rdn 25) nur unter bestimmten Umständen zuständigkeitsbegründende Wirkung (siehe Rdn 47). Sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben, ist/sind das/die prorogierte/n Gericht/e ausschließlich zuständig (Art. 25 Abs. 1 S. 2 EuGVVO; Art. 23 Abs. 1 S. 2 LugÜ II). Ob lediglich die internationale oder auch die örtliche Zuständigkeit des prorogierten Gerichts vereinbart wurde, hängt vom Inhalt der Vereinbarung ab; möglich ist beides.
Rz. 47
Der Begriff der "Gerichtsstandsvereinbarung" (Art. 25 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO; Art. 23 Abs. 1 S. 1 LugÜ II) ist – insbesondere zur Gewährleistung einer einheitlichen Anwendung der EuGVVO – nicht als bloße Verweisung auf das innerstaatliche Recht zu verstehen, sondern als autonomer Begriff. Die Regelung stellt daher im Interesse der Rechtssicherheit und zur Gewährleistung des Einverständnisses der Parteien selbst Formvoraussetzungen für Gerichtsstandsklauseln (siehe dazu Art. 25 Abs. 1 S. 3 und Abs. 2 EuGVVO; Art. 23 Abs. 1 S. 3 und Abs. 2 LugÜ II) auf, die das nationale Recht (§§ 38, 40 ZPO) verdrängen. Die Parteien müssen dabei einen Gerichtsstand "vereinbart" haben, die Gerichtsstandsklausel muss also – was schon die Formerfordernisse gewährleisten sollen ("Form indiziert Vereinbarung") und folglich auch bereits hierbei zu prüfen ist – Gegenstand einer Willenseinigung zwischen den Parteien gewesen sein, die klar und deutlich zum Ausdruck kommen muss; auch Gerichtsstandsvereinbarungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind auf dieser Grundlage grundsätzlich möglich.
Rz. 48
Infolgedessen kann eine in einen Vertrag aufgenommene Gerichtsstandsklausel ihre Wirkung aber auch regelmäßig nur im Verhältnis zwischen den Parteien entfalten, die dem Abschluss dieses Vertrags zugestimmt haben. Ein Dritter muss daher, damit ihm eine solche Klausel entgegengehalten werden kann, grundsätzlich seine Zustimmung hierzu erteilt haben. Nach der lex fori (einschließlich des dortigen Kollisionsrechts) des Mitgliedstaats, in dem sich das prorogierte Gericht befindet, ist – nur – zu prüfen, ob die Vereinbarung materiell nichtig ist (Art. 25 Abs. 1 S. 1 EuGVVO, Erwägungsgrund 20 EuGVVO; das LugÜ II enthält keine entsprechende Regelung); dem Unionsrecht kann dabei allerdings insoweit Bedeutung zukommen, als es zur Auslegung des nationalen Rechts heranzuziehen ist. Da die Rom I-VO nicht auf Gerichtsstandsvereinbarungen anwendbar ist (Art. 1 Abs. 1 lit. e) Rom I) und nach Streichung der Art. 27 ff. EGBGB eine deutsche Kollisionsnorm fehlt, sind insoweit durch deutsche Gerichte die Art. 3 ff. Rom I-VO analog anzuwenden. Daneben enthält die Regelung der EuGVVO zu Gerichtsstandsvereinbarungen eine inhaltliche, den Gegenstand einer solchen Abrede betreffende Voraussetzung, und zwar die, dass die Klausel ein bestimmtes Rechtsverhältnis betreffen muss (Art. 25 Abs. 1 S. 1 EuGVVO; Art. 23 Abs. 1 S. 1 LugÜ II). Die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung beurteilt sich schließlich unabhängig vom Hauptvertrag (Art. 25 Abs. 5 EuGVVO; für den Geltungsbereich des LugÜ II, das keine entsprechende Regelung enthält, gilt nichts anderes).
Rz. 49
In Versicherungssachen (siehe unten Rdn 92 f.) sind Gerichtsstandsvereinbarungen nur in eingeschränktem Umfang möglich, insbesondere nach Entstehung der Streitigkeit oder zugunsten des Versicherungsnehmers, Versicherten oder Begünstigten (Art. 15 EuGVVO; Art. 13 LugÜ II).
Rz. 50
War nach der EuGVVO a.F. ferner noch Voraussetzung, dass zumindest eine Partei ihren Wohnsitz (siehe unten Rdn 57 ff.) in einem Mitgliedstaat hat (Art. 23 Abs. 1 S. 1, 23 Abs. 3 EuGVVO a.F.), so verzichtet die Neufassung der EuGVVO hierauf und lässt Gerichtsstandsvereinbarungen unabhängig vom Wohnsitz der Parteien zu, erforderlich ist nunmehr lediglich, dass das prorogierte Gericht in einem Mitgliedstaat belegen ist (Art. 25 Abs. 1 S. 1 EuGVVO). Mit der Geltung der Neufassung der EuGVVO (siehe oben Rdn 14) sind folglich auch Vereinbarungen durch Parteien aus Drittstaaten möglich.
Rz. 51
Die Neufassung der EuGVVO will darüber hinaus die Durchsetzbarkeit ausschließlicher Gerichtsstandsvereinbarungen verbessern. Dazu wird das bislang strikte Prioritätsprinzip gelockert. Nach der EuGVVO setzt, wenn bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht werden, das später angerufene Gericht (beachte zum maßgeblichen Zeitpunkt: Art. 32 EuGVVO; Art. 30 EuGVVO a.F.; Art. 30 LugÜ II) sein Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht (Art. 29 Abs. 1 EuGVVO; Art. 27 Abs. 1 EuGVVO a.F.; Art. 27 Abs. 1 LugÜ II). Dies führte in der Praxis unte...