Rz. 120
Wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden, kann eine Person, die ihren Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat, auch vor dem Gericht des Ortes, an dem einer der anderen Beklagten seinen Wohnsitz hat (sog. "Ankerbeklagter"), verklagt werden, sofern zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten (Art. 8 Nr. 1 EuGVVO; Art. 6 Nr. 1 LugÜ II). Die Ablehnung einer internationalen Zuständigkeit am Ort der unerlaubten Handlung (Art. 7 Nr. 2 EuGVVO; dazu siehe oben Rdn 71 ff.) in einer Vorentscheidung hindert nicht die Annahme einer internationalen Zuständigkeit aufgrund einer Streitgenossenschaft. Auf Beklagte, die ihren Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates haben und die im Rahmen einer gegen mehrere Beklagte, zu denen auch Personen mit Wohnsitz in der Europäischen Union gehören, gerichteten Klage verklagt werden, ist die Vorschrift nicht anwendbar.
Rz. 121
Da sich nach dem eindeutigen Wortlaut der Regelung die Zuständigkeit für den Ankerbeklagten auf dessen Wohnsitz stützt, dieser also am Ort des zuständigen Gerichts belegen sein muss, kommt eine allein mit der Konnexität begründete erweiternde Auslegung oder analoge Anwendung dahingehend, dass es für die Annexzuständigkeit genügt, dass ein Mitbeklagter oder Streitgenosse auf Grund einer anderen Gerichtsstandsregelung als der allgemeinen (Art. 4 Abs. 1 EuGVVO; siehe oben Rdn 54 ff.), nämlich einer Regelung eines besonderen Gerichtsstands, seinen Gerichtsstand – insbesondere auch aufgrund des vom Geschädigten insoweit gegenüber dem Versicherer des Schädigers in Anspruch genommenen forum actoris (Art. 13 Abs. 2, 11 Abs. 1 lit. b) EuGVVO; Art. 11 Abs. 2, 9 Abs. 1 lit. b) LugÜ II; siehe oben Rdn 105) – beim angerufenen Gericht hat, nicht in Betracht.
Rz. 122
Es ist Sache des nationalen Gerichts, nach dem Gemeinschaftsrecht zu beurteilen, ob zwischen den verschiedenen bei ihm anhängig gemachten Klagen ein Zusammenhang gegeben ist, ob also in getrennten Verfahren die Gefahr widersprechender Entscheidungen bestünde. Die Entscheidungen können dabei nicht schon deswegen als einander möglicherweise widersprechend betrachtet werden, weil es zu einer abweichenden Entscheidung des Rechtsstreits kommt, sondern diese Abweichung muss bei derselben Sach- und Rechtslage auftreten.
Rz. 123
Der Umstand, dass die erhobenen Klagen auf derselben Rechtsgrundlage beruhen, ist dabei jedoch nur einer von mehreren erheblichen Faktoren und keine unabdingbare Voraussetzung. Der Annahme eines Zusammenhangs steht daher nicht entgegen, dass die gegen mehrere Beklagte aus einem einheitlichen Lebenssachverhalt erhobene Klage zum einen auf vertragliche und zum anderen auf deliktische Haftung gestützt ist. Der erforderliche Zusammenhang ist ferner bei einer Gesamtschuldnerschaft mehrerer Schädiger – insbesondere auch aus einem Unfallereignis – anzunehmen. Der bloße Umstand, dass sich das Ergebnis des einen Verfahrens auf das des anderen auswirken kann, reicht dagegen nicht aus, um die im Rahmen der beiden Verfahren zu treffenden Entscheidungen als "widersprechend" zu qualifizieren.
Rz. 124
Für einen informierten und verständigen Beklagten muss aber vorhersehbar gewesen sein, dass er in dem Mitgliedstaat, in dem mindestens einer der Beklagten seinen Wohnsitz hatte, verklagt werden kann. Dies ist vor allem zu bejahen, wenn die Beklagten mit Bezug aufeinander agierten.
Rz. 125
Anders als im nationalen deutschen Recht (§ 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO) ist für die internationale Zuständigkeit bei Streitgenossen nicht (negative) Voraussetzung, dass kein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand – beispielsweise am Unfallort – begründet ist.
Rz. 126
Dass die Klage gegen den im Gerichtsstaat wohnenden Beklagten schon zum Zeitpunkt ihrer Erhebung nach nationalem Recht unzulässig war, hindert eine internationale Zuständigkeit für einen mitverklagten Streitgenossen ebenfalls nicht. Etwas anderes gilt nur bei fehlender internationaler Zuständigkeit.
Rz. 127
Auch eine nachträgliche subjektive Klagehäufung erfüllt das Tatbestandsmerkmal "zusammen verklagt". Bei Klagerücknahme gegen einen Streitgenossen gilt der Grundsatz der perpetuatio fori, ebenso bei einer Trennung der Prozesse. Bei Rücknahme der Klage gegen den "Ankerbeklagten" (siehe oben Rdn 120 f.) kann der Berufung auf die perpetuatio fori durch den Kläger der Einwand des Missbrauchs (siehe auch Rdn 111) – nur – dann entgegen gehalten werden, wenn beweiskräftige Indizien vorliegen, die den Schluss zulassen, dass der Kläger die Voraussetzungen für den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft künstlich herbeigeführt oder aufrechterhalten hat, um einen der – verbliebenen – Beklagten den Gerichten seines Wohnsitzstaats zu entziehen.
Rz. 128
Die Annexzuständigkeit für Streitgenossen ...