Rz. 134
Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann schließlich im Wege einer Widerklage, die auf denselben Vertrag oder Sachverhalt wie die Klage selbst gestützt wird, vor dem Gericht verklagt werden, bei dem die Klage anhängig ist (Art. 8 Nr. 3 EuGVVO; Art. 6 Nr. 3 LugÜ II). Sowohl der Begriff der Widerklage wie der der Konnexität ("auf denselben Vertrag oder Sachverhalt wie die Klage selbst gestützt wird") sind gemeinschaftsrechtlich autonom auszulegen, wobei letzterer enger zu fassen ist als – gemäß § 33 Abs. 1 ZPO – nach deutschem Recht. Im Interesse einer geordneten Rechtspflege ermöglicht es der besondere Gerichtsstand der Widerklage den Parteien, ihre sämtlichen auf einer gemeinsamen Grundlage beruhenden wechselseitigen Ansprüche in ein und demselben Verfahren vor demselben Richter zu regeln; auf diese Weise werden überflüssige und mehrfache Verfahren vermieden.
Rz. 135
Die Vorschrift eröffnet damit – soweit keine ausschließliche Zuständigkeit besteht – einen Gerichtsstand für konnexe Widerklagen. Der Begriff der Widerklage ist dabei dahin auszulegen, dass er im Wesentlichen für Anträge auf gesonderte Verurteilung zulasten des Klägers gilt, mit denen gegebenenfalls auch ein höherer als der vom Kläger geforderte Betrag verlangt und selbst dann weiterverlangt werden kann, wenn die Klage abgewiesen wird. Dem Ziel der Vermeidung überflüssiger und mehrfacher Verfahren entsprechend hat das nationale Gericht in einem Fall, in dem es mit einem oder mehreren im Wege der Widerklage geltend gemachten Ansprüchen befasst ist, ferner die erforderliche Konnexität zu beurteilen, also inwieweit diese Ansprüche auf derselben Grundlage wie die Klage beruhen. Der besonderen Zuständigkeit für die Widerklage kommt im Verhältnis zu anderen Zuständigkeitsregeln der EuGVVO kein ausschließlicher Charakter zu; sie ist nicht nur fakultativ im Verhältnis zur allgemeinen Zuständigkeitsregel (siehe oben Rdn 54 ff.), sondern auch gegenüber den sonstigen Regeln eines besonderen Gerichtsstands nach der EuGVVO.
Rz. 136
Der Gerichtstand für die Widerklage setzt nicht voraus, dass sich die internationale Zuständigkeit für die (Haupt-)Klage ebenfalls aus dem Gemeinschaftsrecht ergibt. Insoweit reicht vielmehr – sofern der Widerbeklagte seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat – eine auf nationales Kompetenzrecht gestützte Zuständigkeit aus (str.).
Rz. 137
Die internationale Zuständigkeit ist grundsätzlich auch begründet für eine Wider-Widerklage (siehe § 25 Rdn 99), nicht aber für eine parteierweiternde Drittwiderklage (siehe § 25 Rdn 88 ff.).
Rz. 138
Die Vorschrift regelt nicht nur die internationale, sondern auch die örtliche Zuständigkeit. Ob das nationale Gericht bei Bestehen einer internationalen Zuständigkeit die Widerklage als solche behandeln kann oder muss, bestimmt sich jedoch allein nach nationalem Recht.
Rz. 139
Für die Geltendmachung einer Aufrechnung ist nach dem Gemeinschaftsrecht keine Konnexität erforderlich. Wird eine Gegenforderung (nur) als Verteidigungsmittel im Wege der Aufrechnung in den Rechtsstreit eingeführt, so beurteilen sich die Voraussetzungen nach nationalem Recht. Umstritten ist allerdings, ob damit auf das nationale Prozess- oder Sachrecht verwiesen wird, also ob das angerufene Gericht – im Anwendungsbereich der EuGVVO – für die Gegenforderung international zuständig sein muss, um über diese rechtskräftig entscheiden zu dürfen; dies dürfte indes zu verneinen sein. Außerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVVO setzt die Entscheidung über eine im Wege der Prozessaufrechnung geltend gemachte Gegenforderung dagegen voraus, dass das Prozessgericht auch insoweit international zuständig ist. Die internationale Zuständigkeit für die Entscheidung über die Gegenforderung kann auch durch rügelose Einlassung begründet werden. In der – insoweit auszulegenden – Vereinbarung eines ausschließlichen anderweitigen auswärtigen Gerichtsstands (siehe oben Rdn 46 ff.) kann ein (zumindest konkludent) vereinbarter Aufrechnungsausschluss liegen.