Dr. iur. Berthold Hilderink
Rz. 282
Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist nicht allein auf ihren Wortlaut abzustellen. Zu würdigen sind alle Begleitumstände, die dem Erklärungsempfänger bekannt waren und die für die Frage erheblich sein können, welchen Willen der Erklärende bei Abgabe der Erklärung hatte (BAG v. 10.4.2014 – 2 AZR 647/13, Rn 15; BAG v. 20.6.2013 – 6 AZR 805/11, Rn 14; vgl. auch BAG v. 5.2.2009 – 6 AZR 151/08, Rn 30 m.w.N., BAGE 129, 265).
Erfolgt eine Kündigung mit einer zu kurzen Frist, ist zunächst durch Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB zu ermitteln, ob der Kündigende tatsächlich die einschlägige Kündigungsfrist wahren wollte.
Rz. 283
Der 2. Senat des BAG hält die Auslegbarkeit einer ordentlichen Kündigungserklärung mit fehlerhafter Kündigungsfrist als eine solche zum richtigen Kündigungstermin für den Regelfall. Der Empfänger der Kündigungserklärung dürfe sich nicht einfach auf den wörtlichen Sinn der Erklärung verlassen, sondern müsse seinerseits unter Berücksichtigung aller ihm erkennbaren Umstände, die dafür von Bedeutung sein können, danach trachten, das Gemeinte zu erkennen. Bei einer ordentlichen Kündigung sei für den Kündigungsadressaten erkennbar, dass der Kündigende die einzuhaltende Kündigungsfrist grds. wahren wolle, weil er aufgrund gesetzlicher, tariflicher oder einzelvertraglicher Regelungen an sie gebunden sei (BAG v. 15.12.2005 – 2 AZR 148/05, NZA 2006, 791). Diese Auffassung hat der 2. Senat in seiner Entscheidung vom 6.7.2006 (BAG v. 6.7.2006 – 2 AZR 215/05, NZA 2006, 1405) bestätigt. Der 6. Senat hat sich dem angeschlossen (BAG v. 9.2.2006 – 6 AZR 283/05, NZA 2006, 1207), während der 8. Senat (BAG v. 18.12.2008 – 6 AZR 287/07, NZA 2009, 391) sowie der 5. Senat (BAG v. 1.9.2010 – 5 AZR 700/09, NZA 2010, 1409) ausdrücklich offengelassen haben, ob der Rechtsprechung des 2. Senats zu folgen sei. Der 5. Senat hat hierzu ausgeführt, die Frage, ob bei einer ordentlichen Kündigung die Nichteinhaltung der objektiv richtigen Kündigungsfrist mit der fristgebundenen Klage nach § 4 S. 1 KSchG geltend gemacht werden müsse, hänge davon ab, ob die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist zur Unwirksamkeit der Kündigungserklärung führe (BAG v. 15.5.2013 – 5 AZR 130/12, Rn 15). Das sei der Fall, wenn sich die mit zu kurzer Frist ausgesprochene Kündigung nicht als eine solche mit der rechtlich gebotenen Frist auslegen lasse (BAG v. 15.5.2013 – 5 AZR 130/12, Rn 15). Bedürfe die Kündigung der Umdeutung in ein anderes Rechtsgeschäft, nämlich in eine Kündigung mit zulässiger Frist, gelte die mit zu kurzer Frist ausgesprochene Kündigung nach § 7 KSchG als rechtswirksam und beende das Arbeitsverhältnis zum "falschen Termin", wenn die zu kurze Kündigungsfrist nicht als anderer Rechtsunwirksamkeitsgrund binnen drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung im Klagewege (§ 4 S. 1, § 6 KSchG) geltend gemacht worden sei (BAG v. 15.5.2013 – 5 AZR 130/12, Rn 15; BAG v. 1.9.2010 – 5 AZR 700/09, Rn 20; BAGE 135, 255; vgl. auch APS/Linck, § 622 BGB Rn 66 ff.; ErfK/Kiel, § 4 KSchG Rn 5; Schwarze, Anm. zu BAG AP KSchG 1969 § 4 Nr. 71). Insoweit bestehe keine Divergenz zwischen dem Fünften und dem Zweiten Senat des BAG (BAG v. 15.5.2013 – 5 AZR 130/12, Rn 15; BAG v. 9.9.2010 – 2 AZR 714/08, Rn 12, BAGE 135, 278).
Der 2. Senat des BAG habe allerdings in der Vergangenheit angenommen, die Auslegbarkeit einer ordentlichen Kündigung mit fehlerhafter Kündigungsfrist als solche zum richtigen Kündigungstermin sei der Regelfall, da – wie oben bereits ausgeführt – der Empfänger der Kündigungserklärung sich nicht einfach auf den wörtlichen Sinn der Erklärung verlassen dürfe, sondern seinerseits unter Berücksichtigung aller ihm erkennbaren Umstände, die dafür von Bedeutung sein können, danach trachten müsse, das Gemeinte zu erkennen. Bei einer ordentlichen Kündigung sei nach Ansicht des 2. Senats für den Kündigungsadressaten erkennbar, dass der Kündigende die einzuhaltende Kündigungsfrist grundsätzlich wahren wolle, weil er aufgrund gesetzlicher, tariflicher oder einzelvertraglicher Regelungen an sie gebunden sei (BAG v. 15.12.2005 – 2 AZR 148/05, Rn 25 ff., BAGE 116, 336; dem folgend: BAG v. 9.2.2006 – 6 AZR 283/05, Rn 32, BAGE 117, 68; ausdrücklich offengelassen: BAG v. 21.8.2008 – 8 AZR 201/07, Rn 31; nicht entscheidungserheblich: BAG v. 9.9.2010 – 2 AZR 714/08, Rn 13, BAGE 135, 278). Einer solchen Auslegungsregel fehlt aber nach Ansicht des 5. Senats die hinreichende Tatsachenbasis (BAG v. 15.5.2013 – 5 AZR 130/12, Rn 16). Ob Arbeitgeber tatsächlich stets – und für die Arbeitnehmer als Erklärungsempfänger erkennbar – die objektive einzuhaltende Kündigungsfrist wahren wollen, sei bislang empirisch unerforscht geblieben (BAG v. 15.5.2013 – 5 AZR 130/12, Rn 16). Zudem sei eine Kündigung zum 30. September ein anderes Rechtsgeschäft als eine solche zum 31. Dezember (BAG v. 15.5.2013 – 5 AZR 130/12, Rn 16). Das Risiko, einen ausdrücklich genannten Kündigungstermin rechtlich zutreffend bestimmt zu haben, dürfe nicht auf den Empfänger der Kündigungser...