Dr. iur. Berthold Hilderink
Rz. 290
Die Umdeutung einer unwirksamen außerordentlichen fristlosen Arbeitgeberkündigung in eine ordentliche fristgerechte Kündigung ist der in der Praxis wohl am häufigsten vorkommende Anwendungsfall. Eine solche Umdeutung ist nach Maßgabe des § 140 BGB dann angezeigt, wenn der Arbeitgeber Tatsachen vorgetragen hat, die darauf hindeuten, dass die Umdeutung in eine ordentliche Kündigung nach den gegebenen Umständen seinem mutmaßlichen Willen entspricht und dieser Wille dem gekündigten Arbeitnehmer erkennbar geworden ist (BAG v. 31.3.1993, AP 32 zu § 626 BGB Ausschlussfrist; BAG v. 18.10.2000, AP Nr. 9 zu § 626 BGB Krankheit; BAG v. 15.11.2001, AP Nr. 13 zu § 140 BGB). Entscheidend für die Umdeutung einer unwirksamen außerordentlichen Kündigung des Arbeitgebers in eine ordentliche Kündigung ist also der hypothetische, vom Arbeitnehmer erkennbare Wille des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis auf jeden Fall zu beenden (BAG v. 13.8.1987 – 2 AZR 599/86, NZA 1988, 129).
Rz. 291
Dies hat das BAG bspw. angenommen, wenn der Arbeitgeber im Kündigungsschreiben dargelegt hat, er sei an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht interessiert und lehne eine Weiterbeschäftigung ab (BAG v. 31.3.1993 – 2 AZR 492/92, NZA 1994, 409) oder er sehe keine Möglichkeit einer weiteren Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer (BAG v. 31.5.1979, AP ZPO § 256 Rn 50). Auch wenn der Arbeitgeber innerhalb der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG eine außerordentliche Kündigung ausspricht, ist i.d.R. davon auszugehen, dass der Arbeitgeber bei Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung das Arbeitsverhältnis zum nächst zulässigen Termin beenden will (BAG v. 15.11.2001, BB 2002, 1562). In anderen Fällen ist grds. ebenfalls davon auszugehen, dass der hypothetische Wille des Arbeitgebers, der eine unwirksame außerordentliche Kündigung ausgesprochen hat, darauf gerichtet ist, das Arbeitsverhältnis jedenfalls zum nächstmöglichen Termin (ordentlich) zu beenden. Jede andere Auslegung ginge an der Wirklichkeit vorbei (h.M.; vgl. nur Ascheid/Preis/Schmidt-Biebl, § 13 KSchG Rn 37 m.w.N.).
Rz. 292
Ausnahmsweise kommt eine Umdeutung nicht in Betracht, wenn die außerordentliche Kündigung auf einen bestimmten Grund gestützt wurde und sich herausstellt, dass dieser Grund nicht vorliegt. In einem solchen Fall kann schon von einem hypothetischen Willen des Arbeitgebers, in jedem Fall ordentlich kündigen zu wollen, nicht ohne Weiteres ausgegangen werden. Abgesehen davon, wäre bei Geltung des KSchG dann auch die ordentliche Kündigung unwirksam. Erweist sich bspw. der gegen den Gekündigten erhobene Diebstahlsvorwurf als haltlos, da ein Dritter der Tat überführt wurde, kann selbst dann, wenn das KSchG (noch) nicht gilt, ein mutmaßlicher Wille des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis auf jeden Fall beenden zu wollen – bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt des Kündigungsausspruches –, nicht angenommen werden.
Rz. 293
Wenn nach dem hypothetischen Willen des Kündigenden die Umdeutung angezeigt ist, muss die in eine ordentliche Kündigung umgedeutete Beendigungserklärung des Arbeitsgebers ferner sämtliche materiellen und formellen Wirksamkeitsvoraussetzungen erfüllen, um Rechtsfolgen auslösen zu können. Bei Geltung des KSchG muss sie den Anforderungen des § 1 Abs. 2 KSchG genügen, bei Existenz eines Betriebsrates muss dieser vor Ausspruch der ursprünglich fristlosen Kündigung (vorsorglich) auch zu einer ordentlichen Kündigung nach § 102 BetrVG angehört worden sein – wozu auch gehört, dass der Arbeitgeber die Wochenfrist des § 102 Abs. 2 BetrVG eingehalten hat – und, falls der Arbeitnehmer schwerbehindert ist muss das Integrationsamt um Zustimmung auch zu einer ordentlichen Kündigung ersucht worden sein und diese erklärt haben.
Rz. 294
Eine Ausnahme gilt für die Anhörung des Betriebsrates nur dann, wenn dieser zu der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung ausdrücklich und vorbehaltlos seine Zustimmung erklärt hat. Dann darf unterstellt werden, dass er auch einer ordentlichen Kündigung zugestimmt hätte (BAG v. 16.3.1978 – 2 AZR 424/76, NJW 1979, 76 = BB 1979, 371 = DB 1978, 1454; BAG v. 12.7.1984, AP Nr. 32 § 102 BetrVG 1972). Die Umdeutung einer außerordentlichen fristlosen (krankheitsbedingten) Kündigung eines aufgrund entsprechender Tarifvorschriften ordentlich nicht mehr kündbaren Arbeitnehmers in eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger sozialer Auslauffrist setzt grds. eine Beteiligung des Betriebs- oder Personalrates nach den für eine ordentliche Kündigung geltenden Bestimmungen voraus (BAG v. 18.10.2000 – 2 AZR 627/99, AP Nr. 9 zu § 626 BGB Krankheit = NZA 2000, 219 = NJW 2001, 1229 = DB 2001, 338 = BB 2001, 418).
Rz. 295
Die Umdeutung einer unwirksamen außerordentlichen in eine ordentliche Kündigung scheidet hingegen aus, wenn das Arbeitsverhältnis aufgrund gesetzlicher oder vertraglicher Verbote ordentlich nicht gekündigt werden kann (KR/Friedrich, § 13 KSchG Rn 96; Ascheid/Preis/Schmidt-Biebl, § 13 KSchG Rn 38).