Dr. iur. Berthold Hilderink
Rz. 139
Bei ordentlichen Kündigungen kann der Betriebsrat innerhalb einer Frist von einer Woche widersprechen, wenn einer der in § 102 Abs. 3 BetrVG abschließend aufgeführten Fälle vorliegt. Der Betriebsrat muss in seiner schriftlichen Stellungnahme den Widerspruch auf mindestens einen der in § 102 Abs. 3 BetrVG aufgeführten Gründe stützen und diesen begründen (ErfK/Kania, § 102 BetrVG Rn 15). Ein Verweis auf die gesetzliche Vorschrift allein reicht nicht aus (BAG v. 17.6.1999, AP BetrVG 1972 § 102 Weiterbeschäftigung Nr. 11). Es genügt jedoch, wenn sich aus der Begründung lediglich die Möglichkeit des Vorliegens eines Widerspruchsgrundes ergibt (LAG München v. 2.3.1994 – 5 Sa 908/93, BB 1994, 1287; Fitting, BetrVG, § 102 Rn 71).
Rz. 140
Gem. § 102 Abs. 3 BetrVG kann der Betriebsrat einer Kündigung widersprechen, wenn:
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der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat (§ 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG). Hierbei ist nur ein Vergleich zwischen den austauschbaren Arbeitnehmern des Betriebes oder des Gemeinschaftsbetriebes, nicht aber des gesamten Unternehmens oder Konzerns anzustellen (BAG v. 22.5.1986, AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Konzern; Fitting, BetrVG, § 102 Rn 80); |
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die Kündigung gegen eine von den Betriebspartnern gem. § 95 BetrVG aufgestellte Auswahlrichtlinie verstößt (§ 102 Abs. 3 Nr. 2 BetrVG); |
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der zu kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann (§ 102 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG). Ein anderer Arbeitsplatz in diesem Sinn ist jede Beschäftigungsmöglichkeit, die ohne Änderung der Vertragsbedingungen in demselben Betrieb oder einem anderen Betrieb desselben Unternehmens für den Arbeitnehmer möglich ist. Ist eine Weiterbeschäftigung auf demselben Arbeitsplatz möglich, besteht kein Widerspruchsgrund (BAG v. 12.9.1985, AP Nr. 7 zu § 102 BetrVG 1972 Weiterbeschäftigung; LAG München v. 2.3.1994, BB 1994, 1287; a.A. LAG Düsseldorf v. 26.6.1980, DB 1980, 2043; Fitting, BetrVG, § 102 Rn 90; DKKW/Kittner, BetrVG, § 102 Rn 200). Der Betriebsrat muss dazu den anderen Arbeitsplatz, auf dem der Arbeitnehmer weiter beschäftigt werden kann, angeben (BAG v. 17.6.1999 – 2 AZR 608/98, NZA 1999, 1154). Ein pauschaler Hinweis auf Personalengpässe bei einzelnen betrieblichen Arbeiten reicht nicht aus (BAG v. 11.5.2000 – 2 AZR 54/99, NZA 2000, 1055); |
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die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist (§ 102 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG). Diese Alternative ergänzt die vorhergehende und kann gleichzeitig mit ihr vorliegen; |
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eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Vertragsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat (§ 102 Abs. 3 Nr. 5 BetrVG). |
Rz. 141
Hat der Betriebsrat der Kündigung aus einem der genannten Gründe fristgemäß widersprochen, muss der Arbeitgeber eine Abschrift dieses Widerspruches dem Arbeitnehmer zugleich mit der Kündigung zuleiten (§ 102 Abs. 4 BetrVG). Dadurch soll dem betroffenen Arbeitnehmer die Möglichkeit eingeräumt werden, die Aussichten eines möglichen Kündigungsschutzprozesses besser zu beurteilen. Schließlich sind ihm oft andere Arbeitsplätze, auf die er im Wege einer Änderungskündigung versetzt werden könnte, überhaupt nicht bekannt. Der Betriebsrat kann jedoch aufgrund seiner Sachnähe beurteilen, ob eine anderweitige Beschäftigung möglich ist. Dies gilt auch deshalb, weil der Betriebsrat gem. § 92 BetrVG vom Arbeitgeber über die langfristige Personalplanung zu unterrichten ist, sodass er auch den in naher Zukunft liegenden Personalbedarf abschätzen kann.
Rz. 142
Die Übersendung der Stellungnahme des Betriebsrates an den Arbeitnehmer ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung. Da dem Arbeitnehmer die sachgemäße Prüfung der Erfolgsaussichten eines möglichen Prozesses jedoch verwehrt wird, drohen dem Arbeitgeber ggf. Schadensersatzansprüche (Ascheid/Preis/Schmidt/Koch, § 102 BetrVG Rn 159; GK-BetrVG/Raab, § 102 BetrVG Rn 145 ff., die beide zu Recht ein Mitverschulden des Arbeitnehmers berücksichtigen wollen). Solche Schadensersatzansprüche können zunächst auf Ersatz von Rechtsanwalts- und Prozesskosten des Arbeitnehmers gerichtet sein, die ihm entstanden sind, weil er eine Kündigungsschutzklage erhoben hat, von der er aber bei Kenntnis der Stellungnahme des Betriebsrates abgesehen hätte. Schadensersatzansprüche sind aber auch denkbar für den Fall, dass der Arbeitnehmer fälschlicherweise einen Prozess für aussichtslos hält und deshalb die dreiwöchige Klagefrist des § 4 KSchG hat verstreichen lassen, weil er die Bedenken des Betriebsrates gegen die Kündigung nicht kannte. In diesem Fall kann der Schaden auch weiter reichen und im Verlust des Arbeitsplatzes zu sehen sein (Kliemt, NZA 1993, 921, 923). Dies entspricht der Lage bei der Parallelproblematik einer Verletzung der nach § 626 Abs. 2 S. 3 BGB bestehenden ar...