Rz. 96

Der Arbeitgeber muss den Kündigungssachverhalt so genau umschreiben, dass der Betriebsrat ohne eigene Nachforschungen in die Lage versetzt wird, die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu überprüfen (BAG v. 17.2.2000 – 2 AZR 913/98, NZA 2000, 761; BAG v. 5.12.2002, NZA 2003, 849). Anderenfalls ist die Kündigung nicht wirksam.

 

Rz. 97

Nicht ausreichend sind lediglich pauschale oder stichwortartige Hinweise, etwa auf Gründe wie "Auftragsmangel" oder "Schlechtleistung des Arbeitnehmers" (Fitting, BetrVG, § 102 Rn 23) sowie reine Werturteile.

 

Hinweis

Erforderlich ist vielmehr die Angabe konkreter Tatsachen, wobei nach der Rspr. strenge Maßstäbe anzulegen sind (hilfreich dazu Becker/Schaffner, DB 1996, 426; großzügig BAG v. 15.11.1995, NZA 1996, 419). Auch Gründe, die für den Arbeitnehmer sprechen, insb. i.R.d. Sozialauswahl, müssen mitgeteilt werden (BAG v. 29.3.1984, AP Nr. 31 zu § 102 BetrVG; BAG v. 15.11.1995, NZA 1996, 419; Schaub, ArbRHB, § 124 Rn 22).

Unterlässt es der Arbeitgeber, den Betriebsrat über Begleitumstände zu informieren, die dem an sich eine Kündigung tragenden Sachverhalt ein besonderes Gewicht verleihen und für die Interessenabwägung erhebliche Bedeutung haben (können), sind diese Gründe bei der gerichtlichen Prüfung der Wirksamkeit der Kündigung nicht verwertbar. Der Betriebsrat ist insb. nicht verpflichtet, diese Umstände selber zu ermitteln (LAG Hessen v. 15.9.1998 – 4 Sa 2349/97 NZA 1999, 269). Die Anhörung ist aber deshalb nicht automatisch unwirksam. Häufig ist dann aber die Kündigung nicht gerechtfertigt, weil sie nicht von dem mitgeteilten Sachverhalt getragen wird (BAG v. 17.2.2000, NZA 2000, 762). Wird der Betriebsrat hingegen erst auf konkrete Nachfrage vollständig informiert, ist dies unschädlich (BAG v. 6.2.1997, NZA 1997, 877). Dies führt jedoch zu einer Verlängerung der Äußerungsfrist für den Betriebsrat (LAG Schleswig-Holstein v. 15.4.1997, NZA-RR 1997, 483).

 

Rz. 98

BAG und herrschende Lehre stellen für die Auswahl der für die Kündigung relevanten Tatsachen nicht auf die objektiv kündigungserheblichen Tatsachen, sondern auf die vom Arbeitgeber selbst als ausschlaggebend angesehenen Tatsachen ab, sog. Grundsatz der subjektiven Determinierung (BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, Rn 43; BAG v. 16.7.2015 – 2 AZR 15/15, Rn 15; BAG v. 23.10.2014 – 2 AZR 736/13, Rn 14; BAG v. 18.10.2006, NZA 2007, 798, 801; BAG v. 24.2.2000, NZA 2000, 764; BAG v. 3.12.1998, NZA 1999, 478; BAG v. 11.7.1991, AP Nr. 57 zu § 102 BetrVG 1972; ausführlich Berkowsky, NZA 1996, 1065; Hümmerich, DB 1997, 165; krit. zu diesem Grundsatz Kraft, in: FS Kissel, S. 611). Der Betriebsrat soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe überprüfen, um sich über sie eine eigene Meinung bilden zu können (BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, Rn 43; BAG v. 16.7.2015 – 2 AZR 15/15, Rn 14; BAG v. 23.10.2014 – 2 AZR 736/13, Rn 15).

 

Rz. 99

 

Hinweis

Infolgedessen muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat diejenigen Gründe mitteilen, die aus seiner Sicht für die Kündigung maßgebend sind und diese tragen.

Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben (BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 700/15, Rn 26). Dem kommt der Arbeitgeber dann nicht nach, wenn er dem Betriebsrat einen schon aus seiner eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt unterbreitet (BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 700/15, Rn 26). Schildert er dem Betriebsrat bewusst einen solchen irreführenden Kündigungssachverhalt, der sich bei der Würdigung durch den Betriebsrat zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken kann, ist die Anhörung unzureichend und die Kündigung unwirksam (BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, Rn 43; BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 700/15, Rn 26; BAG v. 16.7.2015 – 2 AZR 15/15, Rn 15 f.; BAG v. 23.10.2014 – 2 AZR 736/13, Rn 14; BAG v. 22.9.1994 – 2 AZR 31/94, NZA 1995, 363; BAG v. 9.3.1995, NZA 1995, 678). Die Anhörung ist auch dann fehlerhaft, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat Teile des Kündigungssachverhaltes vorenthält, die für seinen Kündigungsentschluss (subjektiv) maßgebend waren (BAG v. 2.3.1989, NZA 1989, 755).

 

Rz. 100

Gibt es darüber hinaus weitere Umstände, die zwar objektiv die Kündigung rechtfertigen könnten, für den Entschluss des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, jedoch nicht relevant geworden sind, ändert dies nichts an der Wirksamkeit der Betriebsratsanhörung. Allerdings kann der Arbeitgeber diese weiteren Umstände in einem späteren Kündigungsschutzrechtsstreit nicht mehr zur Begründung der Kündigung heranziehen.

 

Rz. 101

Die subjektive Überzeugung des Arbeitgebers von der Relevanz oder Irrelevanz bestimmter Umstände ist für den Umfang der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG allerdings dann nicht maßgeblich, wenn dadurch der Zweck der Betriebsratsanhörung verfehlt würde (BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, Rn 44; BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 700/15, Rn 27). Der Arbeitgeber darf ihm bekannte Umstände, die sich bei objektiver Betrachtung zugunsten des Arbeitnehm...

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