Dr. iur. Berthold Hilderink
Rz. 86
Die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers im Rahmen von § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG reicht nicht so weit wie seine Darlegungslast im Prozess (BAG v. 7.5.2020 – 2 AZR 678/19, Rn 15; BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 417/14, Rn 46, BAGE 151, 199). Der notwendige Inhalt der Unterrichtung gem. § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG richtet sich vielmehr nach Sinn und Zweck des Beteiligungsrechts (BAG v. 7.5.2020 – 2 AZR 678/19, Rn 15). Dieser besteht darin, den Betriebsrat durch die Unterrichtung in die Lage zu versetzen, sachgerecht, d.h. ggf. zugunsten des Arbeitnehmers, auf den Arbeitgeber einzuwirken (BAG v. 7.5.2020 – 2 AZR 678/19, Rn 15). Der Betriebsrat soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe beurteilen und sich über sie eine eigene Meinung bilden können (BAG v. 7.5.2020 – 2 AZR 678/19, Rn 15). Die Anhörung soll dem Betriebsrat aber nicht die selbstständige – objektive – Überprüfung der rechtlichen Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung ermöglichen (BAG v. 7.5.2020 – 2 AZR 678/19, Rn 15; BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 700/15, Rn 25).
aa) Unterrichtung über den zu kündigenden Arbeitnehmer
Rz. 87
Der Arbeitgeber muss in der Betriebsratsanhörung den zu kündigenden Arbeitnehmer namentlich genau bezeichnen. Lebensalter, Betriebszugehörigkeit, Privatanschrift, Familienstand und Kinderzahl sowie besondere soziale Umstände wie bspw. eine Schwerbehinderung oder Schwangerschaft sind mitzuteilen.
Rz. 88
Mangels anderweitiger Kenntnisse kann der Arbeitgeber von den Eintragungen in der Lohnsteuerkarte ausgehen, muss den Betriebsrat aber hierüber informieren (BAG v. 24.11.2005 – 2 AZR 514/04, NZA 2006, 665; BAG v. 6.7.2006, NZA 2007, 266).
Rz. 89
Wenn dem Betriebsrat die Sozialdaten des betroffenen Arbeitnehmers bekannt sind, muss der Arbeitgeber diese dem Betriebsrat nach Ansicht des BAG nicht mitteilen (BAG v. 21.9.2000 – 2 AZR 385/99, NZA 2001, 535).
Rz. 90
Hinweis
Es empfiehlt es sich jedoch allein schon aus Beweisgründen, die Sozialdaten in die Anhörung aufzunehmen, da der Arbeitgeber in einem späteren Kündigungsrechtstreit die vorhandene Kenntnis des Betriebsrats beweisen muss.
bb) Unterrichtung über die Art der Kündigung
Rz. 91
Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat über die Art der Kündigung unterrichten, also darüber, ob es sich um eine ordentliche oder eine außerordentliche Kündigung handelt. Dabei ist zu beachten, dass eine Anhörung zur außerordentlichen Kündigung nicht gleichzeitig die Anhörung zu einer ordentlichen Kündigung beinhaltet (BAG v. 12.8.1976 – 2 AZR 311/75, DB 1976, 2163).
Rz. 92
Hinweis
Es ist deshalb dringend zu empfehlen, dass der Betriebsrat bei einer vorgesehenen außerordentlichen Kündigung gleichzeitig auch zu einer hilfsweise zu erklärenden ordentlichen Kündigung angehört wird.
Rz. 93
Geschieht dies nicht und stellt sich die außerordentliche Kündigung, z.B. wegen Versäumens der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB als unwirksam heraus, kommt eine Umdeutung in eine ordentliche Kündigung grds. nicht in Betracht (Küttner/Eisemann, Kündigung, allgemein Rn 25).
Rz. 94
Eine Umdeutung ist gem. § 140 BGB nur möglich, wenn das Rechtsgeschäft, in welches umgedeutet würde, wirksam wäre. Die ordentliche Kündigung scheitert aber i.d.R. an der fehlenden Anhörung des Betriebsrates. Anders ist es nur, wenn der Betriebsrat der außerordentlichen Kündigung uneingeschränkt zustimmt. Für diesen Fall hat das BAG die Umdeutung als rechtmäßig angesehen, weil die Anhörungsrechte des Betriebsrates nicht verletzt wurden (BAG v. 16.3.1978 – 2 AZR 424/76, DB 1978, 1454). Stimme der Betriebsrat einer außerordentlichen Kündigung uneingeschränkt zu, sei nicht ersichtlich, dass und warum er einer den Arbeitnehmer weniger treffenden ordentlichen Kündigung nicht zustimmen sollte.
Rz. 95
Bei einer Änderungskündigung sind folgende Besonderheiten zu beachten:
Hinweis
Da die Änderungskündigung als Beendigungskündigung wirken kann, ist es dringend zu empfehlen, den Betriebsrat gleichzeitig auch zu der möglichen Beendigungskündigung anzuhören (BAG v. 30.11.1989 – 2 AZR 197/89, DB 1990, 993).
Ferner ist zu beachten, dass die Annahme des geänderten Vertragsangebotes durch den Arbeitnehmer regelmäßig mit einer Umgruppierung oder Versetzung verbunden sein wird.
Hinweis
Infolgedessen sind zudem die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates gem. § 99 BetrVG zu beachten.
Dabei handelt es sich insoweit um zwei verschiedene Anhörungsverfahren, die jedoch gleichzeitig durchgeführt und miteinander verbunden werden können (Fitting, BetrVG, § 102 Rn 9).
Hinweis
Der Betriebsrat muss aber zweifelsfrei erkennen können, zu welchen Maßnahmen er jeweils angehört wird. Infolgedessen gilt eine Betriebsratsanhörung gem. § 102 BetrVG nicht automatisch auch als solche nach § 99 BetrVG.
Nach der Rspr. des BAG ist die ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrates nach § 99 BetrVG Voraussetzung für eine wirksame tatsächliche Tätigkeitszuweisung. Ist daher insoweit das Anhörungsverfahren fehlerhaft, lässt sich die ansonsten wirksame Änderungskündigung nicht durchsetzen.
cc) Unterrichtung über den Kündigungsgrund
Rz. 96
Der Arbeitgeber muss den Kündigungssachverhalt so genau umschreiben, dass der Betriebsrat ohne eig...