Prof. Dr. Martin Henssler, Dr. Sebastian Krülls
Rz. 33
Unklar ist angesichts der erwähnten Unterschiede in der redaktionellen Gestaltung von § 611a Abs. 1 BGB und § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG, ob mit Teilen der bisherigen Rechtsprechung weiterhin die Eingliederung in den Betrieb als Indiz für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses gelten kann. Die Rechtsprechung hat die Eingliederung in den bestellerseitig organisierten Produktions- und Arbeitsprozess bislang auch im Kontext der hier interessierenden Abgrenzung als wichtiges Kriterium genannt. Insofern kann sich die Neuregelung in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG auf die bisherige Entscheidungspraxis stützen. Hervorzuheben ist allerdings, dass damit nicht die rein örtliche Eingliederung in den Betrieb, sondern die Eingliederung in den Arbeitsprozess gemeint ist. Es geht also um eine Eingliederung, die quasi eine weisungsersetzende Wirkung hat (dazu bereits § 2 Rdn 18). "On-Site-Werkverträge", die dadurch gekennzeichnet sind, dass die Werkleistung im Betrieb des Auftraggebers erfolgt, sind daher nicht schon wegen der räumlichen Situation als "Scheinwerkverträge" anzusehen, weil die Werkleistung in der fremden Betriebsorganisation erbracht wird. Allein dem Umstand, dass eine Leistung in den Räumen des Bestellers erbracht wird, kommt vielmehr keinerlei Indizwirkung zu. Regelmäßig ergibt es sich bei Werkverträgen schon aus der Natur der Sache, dass die Werkleistung nur in räumlicher Nähe zum Besteller erbracht werden kann. So kann der Maler die Renovierungsarbeiten nur innerhalb des Hauses des Bestellers vornehmen und auch die Gebäudereinigung erfüllt nur dann ihren Sinn, wenn sie im fremden Betrieb vorgenommen wird.
Einer zutreffenden aktuellen Entscheidung des BAG zufolge ist die Eingliederung erst dann relevant, wenn der Beschäftigte derart in den fremden Betrieb eingegliedert ist, dass dessen "Inhaber die für ein Arbeitsverhältnis typischen Entscheidungen über den Arbeitseinsatz des Fremdpersonals trifft". Drittpersonal, das aufgrund eines Dienst- oder Werkvertrags seines Vertragsarbeitgebers auf dem Betriebsgelände eines anderen Arbeitgebers tätig wird, ist danach – ohne entsprechende Weisungsbefugnisse – noch nicht einmal dann in relevanter Weise eingegliedert, wenn die zu erbringende Dienst- oder Werkleistung hinsichtlich Art, Umfang, Güte, Zeit und Ort in den betrieblichen Arbeitsprozess des Auftraggebers eingeplant ist.
Maßgeblich ist damit eine Trennung zwischen solchen räumlichen Eingliederungen, die die Eigenart des zu erstellenden Werkes oder der Dienstleistung von Natur aus und damit zwangsläufig mit sich bringt, und jenen Fällen einer überschießenden Eingliederung, die noch darüber hinausgehen, weil der Auftraggeber einen weitreichenden Einfluss auf den konkreten Einsatz des fremden Arbeitnehmers haben möchte. Erfolgt etwa eine Eingliederung des fremden Arbeitnehmers in die Gesamtbelegschaft durch Einplanung in Dienst- und Urlaubspläne, so lässt dies den Schluss auf eine Arbeitnehmerüberlassung zu.
Diese Grundsätze liegen auch der Neuregelung in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG zu Grunde. So heißt es in der Begründung der Beschlussempfehlung des Ausschusses Arbeit und Soziales unter Berufung auf die bisherige Rechtsprechung des BAG ausdrücklich:
Zitat
"Eine für die Tätigkeit eines Beraters typische Bindung hinsichtlich des Arbeitsorts an eine Tätigkeit im Betrieb des beratenen Unternehmens (begründet) allein regelmäßig keine persönliche Abhängigkeit gegenüber letzterem."
Praxishinweis
Nicht jede Form der räumlichen Eingliederung in die Arbeitsorganisation eines fremden Betriebes rechtfertigt die Vermutung eines Arbeitsverhältnisses zum Betriebsinhaber. Vielmehr ist die Auslagerung einzelner Arbeitsschritte auch dann zulässig, wenn diese im Betrieb des Auftraggebers mit anderen Arbeitsschritten eng verzahnt werden (z.B. Transportaufgaben, die Sicherheitskontrolle am Flughafen oder die im Betrieb des beratenen Unternehmens erbrachte Beratungstätigkeit).
Wird das eingesetzte Personal allerdings auch personell in die fremde Betriebsorganisation eingegliedert (Schichtpläne, Urlaubspläne), spricht dies für eine Personalgestellung nach dem AÜG.