Prof. Dr. Martin Henssler, Dr. Sebastian Krülls
Rz. 14
Während die OECD ungeachtet der derzeitigen Stabilität unseres Arbeitsmarktes seit Jahren mehr Flexibilität für das deutsche Arbeitsrecht fordert, um den Herausforderungen der Zukunft gerecht zu werden, setzen die letzten und die aktuelle Bundesregierung unverändert auf verstärkte Reglementierung unseres ohnehin stark regulierten Arbeitsmarktes. Das ist schon deshalb fragwürdig, weil viele andere Länder ihr Arbeitsrecht inzwischen liberalisiert haben, während Deutschland die Regulierung weiter vorantreibt. Diese gegenläufigen Entwicklungen sorgen dafür, dass – wie auch der Sachverständigenrat im Anschluss an die Reform in seinem Jahresgutachten 2018/2019 kritisierte – einer der Wettbewerbsvorteile, der bislang zur Stärke des Industriestandorts Deutschland beigetragen hat, zunehmend aufgezehrt wird. Andere Länder, wie Frankreich, Österreich und auch Italien haben hier längst nachgezogen, die aus arbeitsrechtlicher Sicht ohnehin außerhalb der Zeitarbeit nur geringfügigen Deregulierungen der zu Unrecht viel gescholtenen Agenda 2010 sind dagegen schon in weitem Umfang rückgängig gemacht worden, wie an der Regulierung der Zeitarbeit deutlich zu sehen ist.
Zwar prangerte auch die OECD den im Ländervergleich vor der Reform 2017 geringeren Schutz von Leiharbeitnehmern in Deutschland sowie eine durch prekäre Arbeitsverhältnisse bestehende "Zwei-Klassen-Gesellschaft" an. Unabhängig von der erfolgten Reform müssen die Zeitarbeit sowie sonstige Abweichungen vom Normalarbeitsverhältnis aber immer im wirtschaftlichen Gesamtzusammenhang unter Berücksichtigung des Kündigungsschutzes betrachtet werden. Die Bundesrepublik gehört gemäß einer Untersuchung der OECD (2014) zu den drei Ländern mit dem höchsten Schutzniveau im Kündigungsschutz von festangestellten Arbeitnehmern. Dieser Kündigungsschutz ist ein Kernelement des deutschen Arbeitsrechts und Garant für den sozialen Frieden in Deutschland. Als solcher steht er – ungeachtet der Gleichstellung von Risikoträgern und leitenden Angestellten gem. § 14 Abs. 2 KSchG – für das Gros der Arbeitnehmer nicht zur Disposition, bedarf aber einer Flankierung durch Flexibilisierungselemente. Der Fremdpersonaleinsatz und insbesondere die Arbeitnehmerüberlassung ist aufgrund des hohen Bestandsschutzes bei unbefristeter Beschäftigung damit ein essentieller Bestandteil der deutschen Arbeitsrechtsordnung. Ohne Anpassungsmöglichkeiten an die konjunkturelle Entwicklung kommt keine dynamische Volkswirtschaft aus. Starre arbeitsrechtliche Regulierungen wirken als Wachstumsbremse und gehen letztlich, wie die höheren Arbeitslosenraten in einigen südeuropäischen Ländern zeigen, zu Lasten der Beschäftigungssuchenden. Zeitarbeit ist entgegen einem verbreiteten Vorurteil keine Arbeit zweiter Klasse, sondern vielmehr ein notwendiges Instrument des Arbeitsmarktes, um Konjunkturschwankungen zu überbrücken und Wettbewerbsnachteile der deutschen Wirtschaft aufgrund des stark ausgeprägten Kündigungsschutzes auszugleichen.
Mit Blick auf das gesetzgeberische Ziel einer Bekämpfung von missbräuchlichen Werkverträgen erscheint es zudem widersinnig, dem angeblich massenhaften Missbrauch nun ausgerechnet durch eine stärkere Regulierung der Zeitarbeit zu begegnen. So merkt auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) an, dass die Regulierung in der Leiharbeit eher dazu führen wird, dass Unternehmen auf den Einsatz von Leiharbeitskräften verzichten und verstärkt andere Vertragsformen wie On-Site-Werkverträge nutzen.