Rz. 159
Nach § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG sind Arbeitnehmer nicht in die soziale Auswahl einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insb. wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Die Regelung ist nicht abschließend. Es sind auch andere berechtigte betriebliche Belange denkbar, z.B. besondere Kundenkontakte oder Produkterfahrung. Es reichen reine Nützlichkeitserwägungen, wenn sie aus betrieblichen Interessen hergeleitet werden (z.B. Ablaufstörungen). Es muss sich aber um Interessen des Betriebes handeln. Eine besondere Verbundenheit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer kann deshalb kein betriebliches Interesse i.S.d. § 1 Abs. 3 KSchG begründen.
Rz. 160
Mit der Regelung in § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG hat der Gesetzgeber die Erhaltung einer ausgewogenen Personalstruktur ausdrücklich als ein berechtigtes betriebliches Interesse anerkannt. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass insbesondere bei Massenentlassungen die soziale Auswahl nur anhand der Kriterien Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung des Arbeitnehmers dazu führen kann, dass sich die bisherige Personalstruktur des Betriebes nachhaltig verschlechtert. Vor allem die bisherige Altersstruktur der Belegschaft ändert sich in der Regel durch eine Sozialauswahl nach den Kriterien des § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG. Ohne Ausnahmevorschrift ließe sich bei der Kündigung eines erheblichen Teils der Arbeitnehmer eine den berechtigten betrieblichen Interessen zuwiderlaufende Überalterung der Belegschaft kaum vermeiden. Da das Gesetz nur die Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur als betriebliches Interesse anerkennt, ist es nicht zulässig, im Zuge einer Massenkündigung die bisherige Personalstruktur des Betriebs zu verbessern.
Rz. 161
Nach diesen Grundsätzen ist es zulässig, in einer bestimmten Beschäftigungsgruppe nicht generell eine Sozialauswahl durchzuführen, sondern vorab Altersgruppen zu bilden und lediglich innerhalb dieser Altersgruppen die Sozialauswahl vorzunehmen. Hieran hat sich auch nach Inkrafttreten des AGG nichts geändert. Nach richtiger Auffassung unterliegt auch eine derartige Bildung von Altersgruppen nach § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG der Privilegierung der Überprüfung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit. Es ist zulässig, Altersgruppen anhand abstrakter Kriterien in Schritten von je zehn Lebensjahren zu bilden. Auch eine engere Staffelung kurz vor Eintritt des Rentenalters ist sachgerecht. Wechselnde Zeitsprünge sind nur zulässig, wenn es hierfür besondere sachliche Gründe gibt. Die konkrete Altersgruppenbildung muss in jedem Fall aber zur Sicherung der bestehenden Altersstruktur der Belegschaft tatsächlich geeignet sein. Sind mehrere Gruppen vergleichbarer Arbeitnehmer von der Entlassung betroffen, ist dies nur der Fall, wenn auch innerhalb der jeweiligen Vergleichsgruppe eine proportionale Beteiligung aller Altersgruppen an den Entlassungen möglich ist. Eine Altersstaffelregelung bietet eine besondere Gewähr für eine sachgerechte Lösung unter Berücksichtigung der betrieblichen und der Arbeitnehmerinteressen, wenn sie in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 BetrVG oder in einer entsprechenden Richtlinie nach dem Personalvertretungsgesetz i.S.v. § 1 Abs. 4 KSchG festgesetzt ist. Die Bewertung der sozialen Gesichtspunkte im Verhältnis zueinander ist in diesem Fall nur auf grobe Fehlerhaftigkeit nach § 1 Abs. 4 KSchG überprüfbar (vgl. auch Rdn 152). Der Arbeitgeber, der sich auf die Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur beruft, hat darzulegen, wie die Personalstruktur beschaffen ist und welche Struktur erreicht werden soll.
Rz. 162
Nach der Rspr. des BAG muss der Arbeitgeber bei der Herausnahme von "Leistungsträgern" aus der Sozialauswahl die Interessen des sozial schwächeren Arbeitnehmers, die im Kontext mit der Sozialauswahl berechtigt sind, berücksichtigen und gegen das betriebliche Interesse an der Herausnahme des Leistungsträgers abwägen. Je schwerer dabei das soziale Interesse wiegt, umso gewichtiger müssen die Gründe für die Ausklammerung des Leistungsträgers sein. In einem Fall waren von 13 Mitarbeitern in der "Offsetvorbereitung" zehn Mitarbeiter als "Leistungsträger" angesehen und nicht in die soziale Auswahl einbezogen worden. Besonders krass war der Vergleich zu einer Arbeitnehmerin F, die zum Zeitpunkt der Kündigung 27 Jahre alt, unverheiratet war und keine Unterhaltsverpflichtungen hatte. Der Kläger war demgegenüber 41 Jahre alt, verheiratet und hatte zwei Kinder. Er wies eine Beschäftigungszeit von 19 Jahren auf. Die Arbeitnehmerin F von acht Jahren. Das BAG hat festgestellt, dass der Kläger eklatant schutzbedürftiger als Frau F gewesen sei. Die Arbeitgeberin habe lediglich eine druckspezifische Ausbildung als betriebliches Interesse vorgetragen und nicht im Einzelnen substantiiert dargelegt, war...