Rz. 95
Die Möglichkeit einer anderweitigen Beschäftigung setzt das Vorhandensein eines freien Arbeitsplatzes voraus. Als "frei" sind solche Arbeitsplätze anzusehen, die zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung unbesetzt sind. Ausreichend ist es auch, wenn ein Arbeitsplatz innerhalb der Kündigungsfrist frei wird und der Arbeitgeber dies bei Ausspruch der Kündigung mit hinreichender Sicherheit vorhersehen kann. Steht zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung fest, dass ein anderer vergleichbarer Arbeitsplatz nach Ablauf der Kündigungsfrist frei wird, auf dem der Arbeitnehmer beschäftigt werden könnte, so ist die Kündigung unwirksam, wenn es dem Arbeitgeber zuzumuten ist, diesen Zeitraum zu überbrücken. Zumutbar ist dabei jedenfalls die Überbrückung eines Zeitraums, den ein anderer Stellenbewerber für die Einarbeitung benötigen würde. Auch für ruhende Arbeitsverhältnisse kann nichts anderes gelten. Besteht ein Kündigungsgrund, so kann vom Arbeitgeber nicht erwartet werden, seinen Kündigungsentschluss so lange zu verschieben, bis das Arbeitsverhältnis nicht mehr ruht, der Kündigungsgrund aber möglicherweise wieder entfallen ist. Ein mögliches frei werden im Rahmen der üblichen Personalfluktuation reicht nicht. Der Arbeitsplatz eines erkrankten Arbeitnehmers ist selbst dann nicht frei, wenn es wahrscheinlich ist oder gar feststeht, dass der erkrankte Arbeitnehmer nicht zurückkehrt.
Rz. 96
Der Arbeitgeber darf die Weiterbeschäftigung nicht dadurch vereiteln, dass er, ohne die Grundsätze der Sozialauswahl zu beachten, die freien Arbeitsplätze besetzt oder externe Bewerber einstellt. Der Arbeitgeber kann sich nach dem Rechtsgedanken des § 162 BGB nicht auf einen von ihm selbst treuwidrig durch eine vorgezogene Stellenbesetzung verursachten Wegfall freier Arbeitsplätze im Kündigungszeitpunkt berufen. Werden z.B. im Zusammenhang mit der Umstrukturierung und Privatisierung der Hausmeisterdienste einer Universität neue Stellen – hier Kraftfahrer – geschaffen, so hat der Arbeitgeber durch eine Sozialauswahl nach den Grundsätzen des § 1 Abs. 3 KSchG zu entscheiden, welche von der Organisationsentscheidung betroffenen Arbeitnehmer er auf diesen neuen Stellen weiterbeschäftigt. Muss der Arbeitgeber damit rechnen, dass ein Arbeitnehmer im Fall des Teilbetriebsübergangs dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprechen wird, muss er einem solchen Arbeitnehmer einen vorhandenen freien Arbeitsplatz anbieten.
Entsprechendes gilt, wenn die unternehmensbezogene Weiterbeschäftigungspflicht dazu führt, dass mehrere Arbeitnehmer aus verschiedenen Betrieben eines Unternehmens um denselben Arbeitsplatz in einem der Betriebe konkurrieren. In diesem Fall hat der Arbeitgeber bei seiner Entscheidung über die Besetzung des Arbeitsplatzes die sozialen Belange der betroffenen Arbeitnehmer zu berücksichtigen. In derartigen Fällen ist eine Sozialauswahl analog § 1 Abs. 3 KSchG vorzunehmen.
Rz. 97
Als frei sind regelmäßig auch die mit Leiharbeitnehmern besetzten Arbeitsplätze anzusehen. Nach der Rspr. des BAG kann jedenfalls von einer alternativen Beschäftigungsmöglichkeit i.S.d. § 1 Abs. 2 S. 2 KSchG auszugehen sein, sofern der Arbeitgeber Leiharbeitnehmer beschäftigt, um ein ständig vorhandenes (Sockel-)Arbeitsvolumen abzudecken. Diese alternative Beschäftigungsmöglichkeit muss vorrangig für sonst zur Kündigung anstehende Stammarbeitnehmer genutzt werden. Werden Leiharbeitnehmer dagegen lediglich zur Abdeckung von sog. Auftragsspitzen eingesetzt, liegt keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit i.S.d. § 1 Abs. 2 S. 2 KSchG vor.
Rz. 98
Stellt die Zuweisung des freien Arbeitsplatzes für den zu kündigenden Arbeitnehmer eine Versetzung i.S.v. § 95 Abs. 3 BetrVG dar und hat der Betriebsrat seine Zustimmung versagt, besteht kein freier Arbeitsplatz. Der Arbeitgeber braucht kein Zustimmungsersetzungsverfahren durchzuführen. Das gilt auch, wenn der Arbeitgeber darlegen kann, dass ein nach § 99 Abs. 2 BetrVG beachtlicher Grund vorgelegen hat und dass der Betriebsrat im Fall eines Zustimmungsersuchens die Zustimmung verweigert hätte.
Rz. 99
Der öffentliche Arbeitgeber ist regelmäßig nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer auf einem freien Arbeitsplatz in einer Dienststelle eines anderen Verwaltungszweigs weiterzubeschäftigen. Etwas anderes kann gelten, wenn der öffentliche Arbeitgeber die bisherige Verwaltungsaufgabe und Verwaltungsorganisation einer Dienststelle durch Gesetz oder Erlass aufgelöst hat, um vergleichbare Aufgaben im Rahmen einer neu gebildeten Strukturreform und Verwaltungsorganisation in einem anderen Verwaltungsbereich auszuführen. Dann kommt eine Weiterbeschäftigung in den anderen Dienststellen in Betracht, die nunmehr diese Verwaltungsaufgaben wahrnehmen.