Rz. 90
Durch § 17 Abs. 3a KSchG soll gewährleistet werden, dass die Verpflichtungen des Arbeitgebers zur Auskunft, Beratung und Anzeige von Massenentlassungen nicht durch gesellschaftsrechtliche Strukturen verhindert wird, innerhalb derer der Vertragsarbeitgeber nicht derjenige ist, der die strategischen Entscheidungen, die einer Massenentlassung häufig vorausgehen, zu treffen hat. Die Auskunfts-, Beratungs- und Anzeigepflichten gelten deshalb uneingeschränkt auch dann, wenn die Entscheidung über die Entlassungen von einem den Arbeitgeber beherrschenden Unternehmen getroffen wurde. Der Arbeitgeber kann sich nicht darauf berufen, dass das für die Entlassungen verantwortliche Unternehmen die notwendigen Auskünfte nicht übermittelt hat.
1. Begriff des herrschenden Unternehmens
Rz. 91
Der Begriff des beherrschenden Unternehmens ist in Art. 2 Abs. 4 der Richtlinie nicht näher definiert. Er ist nach der Rechtsprechung des EuGH in einem Vorlageverfahren des LAG Berlin-Brandenburg autonom und einheitlich dahin auszulegen, dass unter einem "den Arbeitgeber beherrschenden Unternehmen" jedes Unternehmen zu verstehen ist, das mit dem Arbeitgeber durch Beteiligungen an dessen Gesellschaftskapital oder durch andere rechtliche Verbindungen verbunden ist, die es ihm ermöglichen, einen bestimmenden Einfluss in den Entscheidungsorganen des Arbeitgebers auszuüben und ihn dazu zwingen können, Massenentlassungen in Betracht zu ziehen oder vorzunehmen. Dies kann auch dann gegeben sein, wenn ein Unternehmen zwar keine Stimmenmehrheit besitzt, aber dennoch einen bestimmenden Einfluss ausüben kann, der in den Abstimmungsergebnissen der Gesellschaftsorgane zum Ausdruck kommt, etwa wegen einer breiten Streuung des Gesellschaftskapitals des Arbeitgebers, eines relativ geringen Beteiligungsgrads der Gesellschafter an den Versammlungen oder der Existenz von Verträgen zwischen Gesellschaftern des Arbeitgebers.
Rz. 92
Entgegen der Auffassung der Generalanwältin Sharpston in ihren dieser Entscheidung vorangegangenen Schlussanträgen ist allerdings nach Auffassung des EuGH eine nur tatsächliche Beherrschungssituation nicht ausreichend, auch nicht, wenn der Arbeitgeber und das ihn tatsächlich beherrschende Unternehmen dieselben geschäftlichen Interessen in Form einer vertraglichen oder faktischen Verbindung verfolgen, deren Ausdruck ein gemeinsames Vermögensinteresse ist. Anderenfalls wäre das nationale Gericht zu umfangreichen Recherchen mit ungewissem Ausgang über Art und Stärke der verschiedenen gemeinsamen Interessen der betroffenen Unternehmen gezwungen, was die Rechtssicherheit in der EU beeinträchtigen könnte. Eine Beherrschungssituation i.S.v. § 17 Abs. 3a KSchG liegt deshalb nur dann vor, wenn diese auf einer rechtlichen Verbindung beruht.
2. Zeitpunkt der Unterrichtung
Rz. 93
Der Arbeitgeber ist verpflichtet, das Konsultationsverfahren rechtzeitig einzuleiten. In beherrschenden Strukturen tritt der insoweit maßgebliche Zeitpunkt ein, sobald der Arbeitgeber Kenntnis davon erlangt, dass das beherrschende Unternehmen eine strategische Entscheidung trifft oder eine Änderung der Geschäftstätigkeit vornimmt, die ihn zwingt, Massenentlassungen ins Auge zu fassen oder zu planen. Da sich Konsultationen insbesondere auf die Möglichkeit erstrecken sollen, geplante Massenentlassungen zu vermeiden oder zu beschränken, ist deren Einleitung erst zu einem Zeitpunkt, zu dem bereits eine Entscheidung getroffen worden ist, die Massenentlassungen notwendig macht, verspätet. Der Beginn der Konsultationen kann dabei insbesondere nicht davon abhängen, dass der Arbeitgeber bereits in der Lage ist, der Arbeitnehmervertretung alle in § 17 Abs. 2 KSchG genannten Informationen zu liefern. Der Arbeitgeber hat vielmehr die Möglichkeit und die Pflicht, die Auskünfte im Laufe des Konsultationsverfahrens zu vervollständigen. Allerdings kann die Pflicht zur Einleitung des Konsultationsverfahrens erst dann entstehen, wenn innerhalb des Konzerns diejenige Gesellschaft, bei der es zu Massenentlassungen kommen könnte, tatsächlich benannt worden ist.
3. Inhalt der Unterrichtung
Rz. 94
Inhaltlich ist der Arbeitgeber nach Auffassung der Generalanwältin Sharpston auch verpflichtet, offenzulegen, welche betriebswirtschaftlichen oder sonstigen Gründe das beherrschende Unternehmen für seine Entscheidungen hat, die dazu geführt haben, dass Massenentlassungen beabsichtigt sind. Nur dann könne die Arbeitnehmervertretung im Rahmen der Konsultation konstruktive Vorschläge zur Vermeidung oder Verringerung der beabsichtigten Entlassungen unterbreiten. Die Offenlegungspflicht soll jedo...